Reportage

Sehnsuchtsort hinterm Grunewald


13. Juni 2023 , Redaktion Golf.de


Mit EverGreens am Wannsee
Mit EverGreens am Wannsee | © W.Weber/Y.Yovel

Nach Gross Kienitz und Gatow führt der dritter Ausflug in die Golf-Region Berlin/Brandenburg EverGreens-Reisereporter Wolfgang Weber an den schönen Wannsee ganz im Südwesten der Hauptstadt.

Der Golf- und Land-Club Berlin-Wannsee hält sich zugute, einer der ältesten, wenn nicht gar der älteste Golfclub des Landes zu sein. Stand also die „Wiege des deutschen Golfsports“ am Berliner Wannsee? Graben wir doch mal ein wenig tiefer in fast vergessenen Chroniken der Berliner Stadtgeschichte. Es könnte ja sein, daß wir Überraschungen erleben rund um den Golf- und Land-Club Berlin-Wannsee.

Text: Wolfgang Weber

Er ist relativ klein und auch von der Form her ein eher unscheinbares Exemplar eines Siegerpokals. Aber er steht aus gutem Grund in einer eigenen Wand-Vitrine im noblen Clubhaus des stolzen und mondänen Golf- und Land-Clubs Berlin-Wannsee. Der „Gründerpokal“ ist nachweislich der älteste in Deutschland ausgespielte Golfpokal; denn er stammt, wie der Name sagt, aus der Gründerzeit des Traditionsclubs, der 2020 sein 125-jähriges Bestehen feierte und sich zugute hält, neben Bad Homburg im Taunus der „älteste deutsche Golfclub“ zu sein. 

Gestiftet wurde der Pokal, wie man in den Club-Annalen nachlesen kann, von Mr. Herbert Goldsmith-Squiers, einem Mitte der 1890er Jahre bei der Regierung des deutschen Kaiserreichs akkreditierten US-Diplomaten. Und unter den Club-Mitgliedern erstmals ausgespielt wurde er anno 1896 - in einer Zeit also, als die auf den britischen Inseln erfundenen kleinen weißen Bälle auf dem Kontinent gerade erst begannen, das Fliegen zu lernen. 

Lücke im Lebenslauf

Freilich klafft im „Lebenslauf“ des Pokals eine jahrzehntelange Lücke. Zu Kaisers Zeiten wanderte der schlichte Pott bei den altvorderen Berliner Golfern als Wanderpokal von Hand zu Hand und von Villa zu Villa - bis Anfang der zwanziger Jahre ein gewisser William Gerb - nachweislich der Gravuren im Pokalfuß - die Trophäe dreimal hintereinander gewann und sie gemäß den Clubstatuten behalten durfte. 

Einen Weltkrieg und zwei Währungsreformen später, in den Siebzigern, tauchte das gute Stück in einem privaten Nachlaß wieder auf und fand den Weg zurück zum Golfclub. Seitdem wird der Berliner Gründerpokal an jedem 1. Mai unter den Mitgliedern des Golf- und Land-Clubs Berlin-Wannsee wieder ausgespielt, bekommt den Namen des jeweiligen Turniersiegers eingraviert - aber bewegt sich ansonsten nicht mehr weg von seinem Stammplatz in der Ehren-Vitrine im Clubhaus. 

Dabei ist, genau genommen, der Oldtimer-Pokal aus dem vorletzten Jahrhundert in den Siebzigern keineswegs „heimgekehrt“. Berlins traditionsreichste und bekannteste Golfanlage am Schäferberg unweit des zum südwestlichen Stadtteil Zehlendorf gehörenden Villenvororts Wannsee hat der Pokal-Oldie in seinen Jugendjahren in Wahrheit nämlich nie gesehen - schlicht, weil es sie seinerzeit noch gar nicht gab. 

Denn, was auch viele Berliner Golfer nicht wissen: die Wiege des Golfsports in der deutschen Hauptstadt stand keineswegs am Wannsee, sondern wesentlich näher an der heutigen Berliner West-City und nur wenige Drive-Längen entfernt vom hochherrschaftlichen Schloß Charlottenburg: am Spandauer Damm im – damals freilich erst entstehenden - gutbürgerlichen Westend. 

Viel alter Baumbestand prägt den hügeligen Golfplatz in Berlin-Wannsee.
Viel alter Baumbestand prägt den hügeligen Golfplatz in Berlin-Wannsee. | © W.Weber

Spurensuche zwischen Gartenzwergen

Wer dort heute auf Spurensuche geht, trifft auf eine durch und durch kleinbürgerliche Berliner Vorstadt-Idylle mit ziemlich hoher Gartenzwerg-Dichte. Neben den Parzellen „Bismarcksruh“ und „Sonntagsfrieden“ breitet sich die Schrebergarten-„Kolonie Golfplatz e.V“ mit mehreren hundert Mitgliedern und etlichen dutzend Gartenhäuschen aus. Aber kaum einer der eifrig rasenmähenden oder im Blumenbeet werkelnden „Laubenpieper“, der wüßte oder sich jemals auch nur gefragt hätte, woher dieser Vereinsname stammt. Nur ein sehr betagter Kleingärtner, den wir vor der Vereinskneipe „Bolivar“ treffen - gleich gegenüber mündet die breite, schattige Bolivar-Allee auf den Spandauer Damm -, hat eine vage Vermutung: „Hier soll Anno dunnemals mal so‘ne Art Jolfplatz jewesen sein - war wohl zu Adolfs Zeiten. Da war hier was los!“

Nun ja, historisch knapp daneben gezielt, um drei bis vier Jahrzehnte. Denn am meisten „los“ war am „Spandauer Berg“ oberhalb der Spree, zwischen dem Tegeler und dem Spandauer Forst, schon lange bevor man in Berlin und im Deutschen Reich von dem unseligen politischen Rattenfänger aus Braunau am Inn je gehört hatte. Und ebenso wenig von dem schönen, raumgreifenden Rasensport britischer Provenienz, genannt „Golf“. Lange vor den Golfspielern kam im alten preußischen Berlin denn auch die Kavallerie zu ihrem Recht.

Erst kam die Kavallerie

Anfang der 1880er Jahre nämlich, so kann man es in der ein halbes Jahrhundert später erschienenen „Chronik von Alt-Westend“ des Vereins für die Geschichte Berlins nachlesen, suchten Berlins - fast ausnahmslos dem kaiserlichen Militär angehörende - Pferdesportler westlich der Stadt geeignetes Gelände für einen Parcours für Hindernisrennen. Eine Alternative und Ergänzung sollte her zu der - bis heute existierenden - „zu entfernt gelegenen Hoppegartener Rennbahn“ östlich der Hauptstadt.  

Ein Kavallerie-Offizier und späterer General namens Florentin von Schmidt-Pauli wurde fündig – auf einem Terrain zwischen den Berliner Wasserwerken und dem kleinen Schlösschen Ruhwald. Das Gelände gehörte einem Westender Original, dem Juwelier Hirsch Walter. Dieser unterschrieb einen zehnjährigen Pachtvertrag mit den Military-Reitern in der vergeblichen Hoffnung, seinem bei einem Reiterregiment dienenden Sohn den Weg in die Offizierslaufbahn ebnen zu können. „Aus dieser Sandwüste“, so die Chronik, „schuf nun Schmidt-Pauli in den Jahren 1883 und -84 eine 285 Morgen große Rennbahn, wie man sie bisher nicht gekannt hatte.“

Nur an der 17, dem Signature-Hole, kommt in Wannsee Wasser ins Spiel.
Nur an der 17, dem Signature-Hole, kommt in Wannsee Wasser ins Spiel. | © Y.Yovel

Pferderennbahn und Rummelplatz

Für die Unterhaltung der Zuschauer war „in reichstem Maße gesorgt“. Unmittelbar neben dem Hindernisparcours standen Karussells, Würfel-, Schieß- und Schaubuden – „kurz alles, was zu einem richtigen Rummelplatz gehört und was damals von einem weniger anspruchsvollen Publikum noch mit naiver Freude genossen wurde“, wie der Chronist zeitkritisch anmerkt. Doch dann zeigt er umso zügellosere Begeisterung für die beeindruckenden Vierspänner und Kremser durchlauchtigster Adelsfamilien, die sich „in langem Zuge die Charlottenburger Chaussee herauf durch den Tiergarten“ bewegten, vor allem aber für die schneidigen und prächtig uniformierten „hohen Herren im Sattel: General von Treskow und von Tepper-Laski, Graf Schmettow, Generalfeldmarschall und Graf Alfred Dohna und nicht zuletzt der flotte Gardekürassieroffizier von Kramsta“, ein gefeierter reitsportlicher Held jener Tage und schon von Kaiser Wilhelm persönlich dekorierter oftmaliger Turniersieger - quasi ein Paul Schockemöhle der „guten alten Zeit“.

Freilich war es mit der Herrlichkeit der kaiserlichen Herrenreiter im Berliner Westen nach exakt zehn Jahren wieder vorbei. 1894 mußten sich die Pferdesportler wieder ein neues Terrain suchen und fanden es im östlichen Stadtteil Karlshorst, bis heute Synonym für  den Trabrennsport. Der sehr menschliche Grund: Hirsch Walter, der vermögende Juwelier, konnte nicht verwinden, daß sein Filius durch die Offiziersprüfung gerasselt war. Stinksauer kündigte er den Pachtvertrag mit den Reitern, schloß dafür 1894 einen neuen mit einem Häuflein vornehmlich britischer und amerikanischer Golf-Pioniere. Die nutzten die Gunst der Stunde, gründeten noch im selben Sommer den Charlottenburger Golfclub und verwandelten die Pferderennbahn in einen anfangs ziemlich kahlen 9-Löcher-Golfplatz auf dem zum Spreeufer hin abschüssigen Gelände. 

King Edward als Gastspieler

Treibende Kräfte im Berlin Golf Club, so genannt ab 1895, waren unter anderem der Amerikaner Willoughby Dayton Miller, ein international renommierter Professor der Zahnmedizin an der Charité, und der britische Verleger und Fotojournalist Andrew Pitcairn-Knowles, die beide lange Jahre in Berlin lebten. Prominenteste Gastspieler auf dem Platz im Westend, noch bevor der Erste Weltkrieg Europa in Flammen setzte, waren der deutsche Kronprinz Friedrich Wilhelm und der Prince of Wales, der spätere britische König Edward VIII.

Bis der Krieg die Atmosphäre vergiftete, blieb der Club bis hinein in den Vorstand ziemlich anglophil. 1920 hingegen beschlossen die mittlerweile weit überwiegend deutschen Clubmitglieder eine Satzungsänderung. Fortan durften nur noch „Reichsdeutsche“ Vorstandsämter bekleiden.

Nur der Name der Schrebergarten-Kolonie erinnert noch daran, dass hier im Stadtteil Westend einst die Wiege des Golfsports in Berlin stand.
Nur der Name der Schrebergarten-Kolonie erinnert noch daran, dass hier im Stadtteil Westend einst die Wiege des Golfsports in Berlin stand. | © W.Weber

Anfangs ein Club der Diplomaten

„Westend ist im deutschen Golfsport ein Begriff geworden“, konstatierte der Berliner Lokal-Anzeiger im September 1934, als der Golfplatz am Spandauer Berg immerhin schon seit 40 Jahren existierte. „Wenn man von Homburg absieht, ist Westend die älteste Anlage Deutschlands.“ Und wenn man der Chronik von Alt-Westend Glauben schenken darf, sogar noch ein bißchen älter, denn: „Schon als hier noch die Hindernisbahn war, spielten gegenüber, auf dem Gelände südlich der Chaussee, einige Herren der amerikanischen und der englischen Botschaft ihr geliebtes Golf.“  

Die Chronik aus dem Jahr 1935 vermerkt weiter: „Der Platz untersteht der Verwaltung des Golf- und Landclubs Berlin-Wannsee, dessen Leiter, Regierungs-Baumeister Hoffmann, aufs eifrigste bemüht ist, das alte, königliche Spiel auch bei uns volkstümlich zu machen.“ Der Platz im Westend war zu einem innerstädtischen Ableger der neuen Golfanlage in Wannsee geworden – und überlebte, bis Berlin in dem Vernichtungskrieg, der von ihm selbst ausgegangen war, in Flammen stand und jede Kartoffel und jeder Kohlkopf wichtiger war als das schönste Fairway oder Grün. 

Bereits 1913, im selben Jahr, in dem sie die Umbenennung in Golf Club Berlin beschlossen, hatten die Westend-Golfer ihre Fühler ausgestreckt in Richtung Wannsee - und dort, jenseits des Grunewalds, von der königlich-preußischen Regierung ein in Staatsbesitz befindliches hügeliges Wald- und Wiesengelände gepachtet. Rasch machten auf dem 57 Hektar großen Areal etliche Hektar Kiefernwald Platz für die Anlage der ersten Fairways nach Plänen des schottischen Golfprofessionals Cuthbert Stratchan-Burchard.

Startabbruch durch 1. Weltkrieg

Ein Golfplatz war im Entstehen, von dessen Länge und Qualität man auf dem bescheidenen Westend-Kurs nur hatte träumen können. Dann jedoch schlugen der Erste Weltkrieg und die anschließende Wirtschaftskrise unbarmherzig zu. Erst 1926, mehr als drei Jahrzehnte nach dem „golferischen Urknall“ in Westend, erlebte der neue Platz ganz im Südwesten Berlins die ersten Drives und Fairwayschläge. Immerhin begünstigten nun die fortgeschrittene Motorisierung und insbesondere der Bau der ersten Autobahn, der „Avus“, von Charlottenburg durch den Grunewald bis kurz vor Wannsee, die Entwicklung der neuen Golfanlage. An der zuvor so fernen südwestlichen Stadtgrenze, näher an den Potsdamer Park- und Schlösserlandschaften als an den Zentren Berlins, war auf leicht hügeligem Waldgelände einen Parklandkurs von großer Klasse geschaffen worden, ein golferischer Solitär, der auch nach einem knappen Jahrhundert immer aufs Neue begeistert. 

Ein Heimspiel auf dem neuen Golfplatz, dessen feudales Clubhaus schnell zu einem gesellschaftlichen Hotspot der besseren Kreise Berlins wurde, hatte der legendäre, in Berlin lebende britische Golfprofessional Percy Allis, der hier von 1926 bis 1929 viermal in Folge die German Open gewann. Vornehmlich englisch gesprochen wurde in Wannsee auch nach dem Zweiten Weltkrieg, in dessen allerletzten Tagen noch das alte Clubhaus am Schäferberg als Kollateralschaden durch einen Panzerangriff auf eine benachbarte deutsche Artilleriestellung nahezu komplett zerstört wurde - zwei Todesopfer inklusive.

Lieblingsort der US-Offiziere

Die US-Armee beschlagnahmte das Gelände. Der inzwischen auf 27 Löcher angewachsene Golfplatz wurde zum „US Army Recreation Center“ und einem der beliebtesten Aufenthaltsorte des amerikanischen Offizierskorps im später eingemauerten West-Berlin. Deutsche Golfer durften ab 1953 wieder auf den „hinteren Neun“, am Stölpchensee, ihrem Sport frönen. 20 Jahre später fand der alte Gründerpokal aus Westend erstmals den Weg nach Wannsee. Nochmals zwei Jahrzehnte später, 1994, mit dem endgültigen Abzug der Alliierten aus der alten, neuen deutschen Hauptstadt, übergaben die US-Amerikaner auch ihren sehr gepflegten 18-Löcher-Platz an den einheimischen Golf- und Land- Club Berlin-Wannsee. 

Es ist ein Platz für kluge Strategen. So manche recht schmale Waldschneise, zum Teil mit Schräglage, bestraft jeden Slice oder Hook gnadenlos. Wenngleich nicht besonders lang, nötigt das oftmalige Auf und Ab der Fairways auf diesem landschaftlich überaus reizvollen Parklandkurs gehörigen Respekt ab. Insbesondere die mit Bunkern gut verteidigten Par-3-Bahnen erfordern aufgrund der Höhenunterschiede eine wohlüberlegte Schägerwahl. Und die jüngste, aufwendige Rundum-Erneuerung und verschärfte Ondulierung sämtlicher Grüns stellt auch diejenigen vor ganz neue Herausforderungen, die glaubten, den Wannsee-Kurs „im Schlaf auswendig“ zu kennen. 

Zum unumstrittenen Signature Hole wurde die 17, wo hinter einem künstlich angelegten See ein sehr hoch gelegenes Green mit starkem Gefälle angespielt wird. Bei der 18 muß erst eine tief gelegene, als Ballschlucker gefürchtete Blumenwiese überwunden werden; dann folgt ein steil ansteigendes, stark nach rechts zum Waldrand abfallendes Fairway, das erst spät den Blick auf das durch große Bunker stark verteidigte Grün freigibt - als wolle die Bahn die Wirrnisse der langen, bewegten Club-Geschichte nachzeichnen.

Schönste Aussichtsterrasse

Doch zum grandiosen Finish wartet das 19. Loch, eine der schönsten Aussichtsterrassen weit und breit. Das 1997 eröffnete neue Clubhaus umfängt den Gast mit gediegener, eleganter Atmosphäre. Küche und Service trachten spürbar danach, dem hohen golferischen Niveau der Anlage zu entsprechen. Ein Golftag in Wannsee bedeutet, noch in der Hauptstadt zu sein und sie zugleich ganz weit hinter sich zu lassen. Die wald- und wasserreiche Landschaft jenseits des „Jrunewalds“ war schon immer ein Sehnsuchtsort vieler Berliner - heute noch genauso wie zu Kaisers Zeiten. Auch wenn das große Spiel damals an ganz anderer Stelle begann... 

Die ganze Geschichte hören Sie als neueste Episode des Golfreise-Podcasts „EverGreens“. Den Podcast von Wolfgang Weber finden Sie bei Apple Podcast, Spotify, Deezer, überall sonst, wo es gute Podcasts gibt - auch auf golf.de und auf der Webseite www.ever-greens.de