Spec. Olympics

Special Olympics – wie alles begann


17. Mai 2023 , Christopher Tiess


Treibende Kraft: Eunice Kennedy umringt von Athletinnen und Athleten der Special Olympics.
Treibende Kraft: Eunice Kennedy umringt von Athletinnen und Athleten der Special Olympics. | © Special Olympics

Der Kennedy-Clan, eine Familientragödie, „vergessene Kinder“ und wissenschaftliche Erkenntnisse. Ohne all diese Zutaten gäbe es wohl keine Special Olympics. Wir werfen ein Schlaglicht auf die Anfänge eine der größten und wichtigsten Sportveranstaltungen der Welt.

Wenn die Special Olympics World Games am 17. Juni 2023 eröffnet werden, so ist dies nicht einfach irgendeine Sportveranstaltung. Special Olympics ist vielmehr die weltweit größte Sportbewegung für Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung. Dabei begann der Weg dieser ganz besonderen Veranstaltung wie so oft ganz unscheinbar – und dazu aus einem traurigen Ereignis heraus. Im Mittelpunkt der Entwicklung steht die berühmte Kennedy-Familie aus den USA. 

Der Clan und sein Oberhaupt

Joseph Patrick Kennedy darf als Begründer der Kennedy-Dynastie gelten. Mit seiner, ebenfalls aus einflussreichem Hause stammenden, Ehefrau Rose Fitzgerald Kennedy hatte er insgesamt neun Kinder, von denen gleich mehrere weltweite Berühmtheit erlangten - unter Ihnen die Politiker John F. Kennedy, Robert Kennedy und Edward Kennedy sowie Eunice Kennedy, die allgemein als Mutter der Special Olympics gilt.

Joseph Patrick Kennedy war sehr auf das Ansehen, die gesellschaftliche Stellung und das Vorankommen seiner Familie bedacht. In diesem Zusammenhang forderte und förderte er seine Kinder. Und genau in demselben Zusammenhang führte er konsequent Entscheidungen herbei – auch bei seiner Tochter Rosemary. Rosemary war das dritte Kind des Ehepaars und zugleich die älteste Tochter. Sie litt an einer Leseschwäche und es wurde ein leichte geistige Behinderung diagnostiziert, wobei dieser Befund umstritten ist. Rosemary war lebenslustig und nahm gerne an gesellschaftlichen Ereignissen teil. 

Folgenschwerer Alleingang

Mit Eintritt in das Erwachsenenalter entwickelte Rosemary Kennedy allerdings auch Eigensinn und Jähzornigkeit. Man sagte ihr zudem eine gewisse Freizügigkeit nach – und das war ein Problem. Denn eine ungewollte Schwangerschaft zu Beginn der 1940er Jahre und zudem in einer katholischen Familie, war keineswegs eine Lappalie. Vater Joseph Patrick Kennedy entschied daraufhin im Alleingang die Durchführung einer Lobotomie. Diese war zwar damals schon umstritten – sie galt ihm aber als Weg, um das Verhalten von Rosemary zu zügeln und das Ansehen der Familie rein zu halten. Die junge Frau war da 23 Jahre alt.

Die von einem befreundeten Arzt ausgeführte OP hatte allerdings katastrophale Folgen. Rosemary konnte danach nicht mehr richtig reden, wurde inkontinent und benötige fortan einen Rollstuhl. Ihr Intellekt rutschte vom Niveau einer Zwölfjährigen auf das einer Zweijährigen. Joseph Patrick Kennedy wollte daraufhin nicht mehr auf seine Tochter angesprochen werden - vielleicht waren Scham und Schuldgefühl zu groß. Dafür jedoch gründeten er und seine Ehefrau Rose im Jahr 1946 die nach ihrem ältesten Sohn benannte Joseph P. Kennedy Jr. Foundation (JPKF). Der war im August 1944 im Zweiten Weltkrieg gefallen und wurde postum als Kriegsheld mit einem der höchsten US-Militärorden - dem Navy Cross - ausgezeichnet. Nachdem das Hauptaugenmerk der Stiftung zunächst die Unterstützung katholischer Einrichtungen war, wechselte der Fokus zur die Erforschung, Gesetzgebung, Förderung und öffentliche Wahrnehmung von geistigen und entwicklungsbedingten Behinderungen. Hinter diesem Paradigmenwechsel stand ihrerzeit eine Frau, die später als Mutter der Special Olympics in die Geschichte eingehen sollte.

Sommercamp für die vergessenen Kinder

An dieser Stelle kommt Eunice Kennedy-Shriver ins Spiel. Geboren wurde sie als Eunice Kennedy, sie war das fünfte der neun erwähnten Kinder. Eunice sollte später langjährige Vorsitzende der Stiftung sein. Die Arbeit mit und für Menschen mit geistiger Behinderung war ihr spätestens nach dem Unglück ihrer großen Schwester eine Herzenssache. Und genau da liegt auch die Wiege der Special Olympics. Denn zu Beginn der 1960er Jahre wandten sich Eltern von betroffenen Kindern an Eunice Kennedy-Shriver. Sie führten an, das öffentliche Schulsystem erlaube Kindern mit geistiger Behinderung nicht, an den in den USA so beliebten Sommercamps teilzunehmen. 

So gründete Eunice Kennedy-Shriver kurzerhand ein eigenes Camp auf ihrer Farm Timberlawn in Maryland. Im ersten Sommer waren 34 Kinder mit und ohne geistige Behinderung im Camp Shriver zu Gast. Mit dabei war auch ihr Sohn Tim, der heute der Vorsitzende der JPKF ist. Eine der vielen Aktivitäten im Camp war die gemeinsame Ausübung von Sport. Und weil das Camp auf so positiven Wiederhall stieß, fand es auch in den folgenden drei Jahren statt. Viel wichtiger noch als das Camp, war jedoch das, was dann folgte.

Premiere in Chicago

Denn zu dieser Zeit zeigten wegweisende wissenschaftliche Studien, dass Bewegung ein wichtiges Element ist, um die Entwicklung von Menschen mit Behinderung positiv zu beeinflussen. So entstand die Idee, spezielle Olympische Spiele für Kinder mit Entwicklungsstörungen zu organisieren und durchzuführen. Wohl gemerkt: Diese Kinder wurden und werden rückblickend oft auch als „vergessene Kinder“ bezeichnet, weil sich der gesellschaftliche Umgang mit ihnen oftmals nur im Ignorieren und Ausschließen von jeglichen Aktivitäten zeigte.

Eine der treibenden Kräfte dieser Veranstaltung war Anne Marie McGlone Burke, eine Juristin, die später noch Richterin am Supreme Court des US-Bundesstaates Illinois werden sollte. Damals jedoch war die gerade erst 24-jährige als Sportlehrerin im Chicago Park District angestellt. Mit ihren Ideen, der wertvollen Hilfe weiterer Involvierter und der Unterstützung von Eunice Kennedy-Shriver und der Kennedy Foundation, wurden am 20. Juli 1968 die ersten Special Olympics im bekannten Soldier Field in Chicago umgesetzt - einem Stadion, das zum Chicago Park District gehört. Noch heute lautet die Adresse der Sportarena „Special Olympics Drive“.

Ein Gesicht für die Ungesehenen

Die Sportveranstaltung war vor ihrem Start einer starken Kritik ausgesetzt, sie würde die betroffenen Kinder zur Schau stellen. Doch tatsächlich gab dieses Event den „vergessenen Kindern“ ein Gesicht. Und das war bunt, lebendig und lebensfroh. Die ersten Special Olympics Spiele fanden mit zirka 1.000 Athleten aus den USA und Kanada statt. Heute ist Special Olympics die weltweit größte Sportbewegung für Menschen mit geistiger Behinderung und Mehrfachbehinderung. Sie ist vom Internationalen Olympischen Komitee offiziell anerkannt und darf als einzige Organisation den Ausdruck „Olympics“ weltweit nutzen. 

Die Entwicklung von Special Olympics ist unfassbar beeindruckend. Dabei ist das dahinter stehende Ziel stets dasselbe geblieben: Die Inklusionsbewegung will Menschen mit geistiger Behinderung durch den Sport zu mehr Anerkennung, Selbstbewusstsein und letztlich zu mehr Teilhabe an der Gesellschaft verhelfen. Diesen Sommer wird Berlin Gastgeber der Special Olympics Weltspiele 2023 sein, des größten in Deutschland ausgetragenen Multisport-Ereignisses seit den Olympischen Sommerspielen 1972. Und vielleicht wird einmal mehr der von André Heller ersonnene Slogan wahr, der auch schon für die im Jahr 2006 in Deutschland ausgetragene Fußball-WM galt: „Die Welt zu Gast bei Freunden“.