Kolumne

Willkommen im Kulturclub


22. März 2023 , Christopher Tiess


Offenherzigkeit: dieses gewinnende Lächeln zeichnet die deutsche Tour-Spielerin Alexandra Försterling aus. Dabei kann jeder von uns lächeln - und wir brauchen dafür nicht einmal eine Trainerstunde.
Offenherzigkeit: dieses gewinnende Lächeln zeichnet die deutsche Tour-Spielerin Alexandra Försterling aus. Dabei kann jeder von uns lächeln - und wir brauchen dafür nicht einmal eine Trainerstunde. | © Foto: DGV/Tiess

Mit Hilfe der folgenden Zeilen können Sie nachprüfen, ob Ihr Golfclub in New Jersey liegt. Und Sie werden erfahren, warum Ihre Clubkameraden manchmal klingen wie Ferdinand de Magellan.

THE SOCIAL GOLFER

Liebe Leidensgemeinschaft,

wenn Sie sich mit New Yorkern über deren Nachbarn aus New Jersey unterhalten, geizen die Bewohner der ikonischen Großstadt nur selten mit bösartigen Witzen. Einer geht zum Beispiel so: „Was ist der Unterschied zwischen New Jersey und einem Joghurt? Ein Joghurt hat eine lebende Kultur.“ Als fairer Gesprächsteilnehmer mag man Einwände haben, aber Fakt ist: Kultur findet sich in vielerlei Form – sei es als Bakterie, als Theaterstück oder einfach nur als der Habitus, beim ersten Sonnenstrahl des Jahres die Bestuhlung des Cafés nach draußen zu stellen.

Und dann gibt es eine Form von Kultur, die spätestens seit dem Jahr 2015 einem echten und dauerhaften Stresstest ausgesetzt ist: unsere Willkommenskultur. Wohl gemerkt: Es soll hier nicht um Menschen gehen, die aus ihrer Heimat vertrieben wurden. Dennoch geht es um Migration. Und darum, dass Willkommenskultur auch im Golfsport eine gewichtige Währung ist. In der Tat zeigen die regelmäßigen Imagestudien des Deutschen Golf Verbands: Viele der Neueinsteiger in diesem Sport fühlen sich in den Golfanlagen regelrecht abgekanzelt. 

Abraham Lincoln sagte einmal: „Willst Du den wahren Charakter eines Menschen erkennen, so gib ihm Macht.“ Für unseren Golfsport könnte man das ungefähr so übersetzen: „Willst Du den wahren Charakter eines Golfspielers erkennen, so gib ihm einen Anfänger.“ Nur allzu oft führen „erfahrenere“ Clubmitglieder dann die sportlichen Anekdoten ihrer letzten After-Work-Runde zu Spielsituationen á la Ryder Cup aus. Die letzte Golfreise nach Belek hört sich an wie die Magellan‘sche Weltumsegelung. Zudem war der Erzählende noch nie so etikette- und regelfest wie just in diesem Moment seines Monologs. Und selbst Spieler, die ihrerseits erst zwei oder drei Jahre dabei sind, legen größten Wert darauf, ihre Golfrunden ohne 54er im Flight zu absolvieren.

Am Ende verteidigen diese „erfahrenen“ Spieler das hochnäsige Image unseres Sports abermals erfolgreich und 80 Prozent der Neueinsteiger stellen ihr Golf-Bag alsbald wieder in den heimischen Keller. Die Golfanlage verliert erneut mehr Spieler als sie hinzugewinnt – und im Grunde droht bereits die nächste Jahresbeitrags-Erhöhung. Jetzt fehlt eigentlich nur noch der allwissende Clubvorstand, der die VcG als Wurzel allen Übels erkannt hat. Denn wenn die endlich aufgelöst werden würde, hätte ja jede deutsche Golfanlage 30 Mitglieder mehr. 

Sie merken wahrscheinlich gerade: Ich ärgere mich. Bleiben wir lieber beim eigentlichen Thema: Willkommenskultur. Golf ist ein ressourcen-intensiver Sport – das gilt sowohl für die Clubs als auch für die Mitglieder. Der Golfsport befindet sich im Wettbewerb mit vielen anderen Sportarten. Der geneigte Leser mag jetzt an Tennis denken, aber es gibt noch viele weitere: Reiten, Segeln, Nordic Walking und selbst das Fitnessstudio. Gerade im Jugendbereich kommen die üblichen Verdächtigen wie Fußball, Basketball und Co. hinzu.

Jede einzelne der eben genannten kommt mit weniger Prätention daher als unser wunderschöner Sport. Doch das Entscheidende ist: wir haben es selbst in der Hand, dies zu ändern. Der Wandel hin zu einer echten Willkommenskultur ist im Grunde ja auch nicht einmal schwer. Nur eines dürfen wir nicht: auf den großen Dachverband warten. Denn am Ende spielt es keine Rolle, ob der DGV eine bundesweite Werbekampagne organisiert, in der die Models erzählen, wie offen und unkompliziert unser Sport ist. In erster Linie müssen doch wir in den Anlagen dafür sorgen, dass uns weniger Spieler wieder verlassen. Und hier sind wir als einfache Clubfreunde und Mannschaftskameraden gefragt, die ein und dieselbe Passion teilen. Wir sind als jene gefragt, die eben nicht ungefragt Verbesserungsvorschläge während der Runde zum Besten geben. Und wir sind als jene gefragt, die auf der Clubhaus-Terrasse den freien Platz neben uns anbieten. Golf ist in erster Linie ein Sport und kein Society-Event. Und Willkommenskultur kann man nicht indoktrinieren. Man kann sie aber sehr wohl leben.

Mit sportlichem Gruß,
Ihr Christopher Tiess

The Social Golfer: Kolumnist Christopher Tiess ist auch im blauen Element zu Hause.
The Social Golfer: Kolumnist Christopher Tiess ist auch im blauen Element zu Hause. | © Foto: Mindshot/A. Rechel


Lebenserfahrungen, Reise-Anekdoten und immer wieder Geschichten aus dem Kuriositätenkabinett namens Golfsport: In seiner Kolumne „The Social Golfer“ spiegelt der Projektmanager, Journalist und Fotograf Christopher Tiess seine Eindrücke aus der Welt wider und schlägt dabei die Brücke zu gesellschaftlichen und sozialen Themen.

 

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