Reise

Die „Snowbirds“ sind gelandet


1. Februar 2023 ,


Traumziel für Golftouristen: Scottsdale mit seinen 51 spektakulären Golfanlagen
Traumziel für Golftouristen: Scottsdale mit seinen 51 spektakulären Golfanlagen | © Weber/Yovel

Stadion-Party bei der Phoenix Open, Super Bowl und Baseball Spring Training - Scottsdale, Arizona, ist in den kommenden Wochen der Nabel der amerikanischen Sportwelt.

Text: Wolfgang Weber

Was tut man nicht alles für die Liebe? Als Alex Saudargas seinen Schwiegervater in spe - der Tradition und den damals, in den Sechzigern, noch strengeren Sitten gehorchend - um die Hand seiner Tochter Linda bat, stellte der eine knallharte Bedingung: Geheiratet wird nur, wenn Du Golfen lernst! Der strenge Schwiegerpapa nämlich war nicht nur ein erfolgreicher und angesehener Geschäftsmann, sondern auch im Vorstand des altehrwürdigen örtlichen Golf- und Country-Clubs und schlichtweg „Mister Golf“ in Rockford,Illinois, unweit von Chicago. 

Zur Hochzeit gab‘s für Alex und Linda die Mitgliedschaft im Country Club und jede Menge Trainerstunden. Der damals 21jährige 2-Meter-Hüne und von allen Mitschülerinnen angehimmelte Star des örtlichen College-Football-Teams, hatte bis dahin dem Golfsport wenig abgewinnen können. „Aber ich war sehr athletisch und wohl auch talentiert, und die ‚Erpressung‘ meines Schwiegervaters hatte meinen Ehrgeiz geweckt“, erinnert sich Saudargas mit breitem Grinsen. „Nach gut einem Jahr hatte ich ein besseres Handicap als er - einstellig!“ 

Verlockender Südwesten

Ein paar Jahre später zog das junge Paar aus Illinois in den fast immer sonnigen Südwesten der USA, erst nach Albuquerque in New Mexico und schließlich nach Scottsdale,Arizona. „Innerhalb weniger Monate haben wir uns in die Wüstenlandschaft, die Menschen, das Klima verliebt und entschieden, hier zu bleiben“, schwärmt Alex, der seinem vor Jahrzehnten vom Schwiegerpapa „erzwungenen“ Golf-Hobby längst mit Leidenschaft und großem Zeitaufwand frönt, seit er seinen international erfolgreichen Modeschmuck-Handel vor einigen Jahren verkaufte. 
 

Vielleicht Scottsdales bester 80jähriger Amateurgolfer: Alex Saudargas
Vielleicht Scottsdales bester 80jähriger Amateurgolfer: Alex Saudargas | © Y. Yovel


Alex Saudergas, den wir zufällig „downtown” im Juwelierladen eines Freundes treffen, ist die unumstrittene Nummer 1 im Senioren-Team des 1999 gegründeten Scottsdale Silverado Golf Club. Jeden Dienstag und Samstag ist Turnier, „dann spielen wir ernst, gegen andere Clubs - und unter uns auch um Geld.“ Dass Alex dabei meistens die Nase vorn hat, liegt wohl auch daran, dass er jeden Morgen eisern sein halbstündiges Fitnesstraining durchzieht. „Abschläge von 300 Yards schaffe ich nicht mehr - aber auf gut 250 Yards vom Tee komme ich noch. Auch mein Handicap wird langsam schlechter“, bekennt er mit einem unverkennbar stolzen Unterton in der Stimme, „jetzt liege ich bei Handicap Zwei-Komma-Irgendwas - nicht schlecht für einen 80 Jahre alten Kerl, oder?“

Alex mag in vielerlei Hinsicht ein Sonderfall sein. Andererseits ist der immer noch gut trainierte Senior einer von Millionen, die es in den vergangenen Jahrzehnten aus dem im Winterhalbjahr eisig kalten Norden der USA ins „Valley of the Sun” gezogen hat, wie sich  Arizonas Hauptstadt Phoenix mit ihren zahlreichen Vorstädten mit Vorliebe und äußerst werbewirksam nennt. Die Metropolitan Area um Phoenix ist seit langem einer der am schnellsten wachsenden Ballungsräume der USA - mit aktuell irgendwo zwischen fünf und sieben Millionen Einwohnern. Es kommt ganz darauf an, wann man zählt, im bullenheißen Sommer oder im milden Winter, wenn die Snowbirds da sind. 

Wie die Zugvögel

„Snowbirds” nennen sie hier die menschlichen Zugvögel, die - ähnlich wie Kraniche, Störche oder Wildgänse einem inneren Instinkt folgend - immer im Winter der biestigen Kälte in Boston, New York, Chicago oder Seattle entfliehen und mit Linien- oder auch Privatjets in den sonnigen Süden düsen. Überwiegend entweder nach Florida oder Arizona. Hauptsache, viel Sonne und - viele tolle Golfplätze. 

Dem Valley of the Sun, das einst von Baumwolle und Zitrusfrüchten lebte und das sich in den letzten Jahrzehnten zahlreiche große Elektronik- und Telekommunikations-unternehmen als Hauptsitz auserkoren haben, verschafften die immer zahlreicher werdenden „Snowbirds” zwei neue Boom-Branchen, die eng miteinander verwoben sind: den Golftourismus und die Immobilienwirtschaft. 

An dem Hotelier Jerry Anderson und seinem Sohn Tom aus Seattle, unseren Flightpartnern in der Abendsonne auf dem Acacia-Platz des Kierland Golf Club mitten in Scottsdale, zeigt sich exemplarisch, wie Arizona die Snowbirds mehr und mehr vereinnahmt. „Anfangs kamen wir mit unseren Frauen nur für ein, zwei Wochen herunter und nahmen uns Hotelzimmer”, erzählt Jerry. 
 

Traumziel für Golftouristen: Scottsdale mit seinen 51 spektakulären Golfanlagen - hier der Blick auf den Acacia-Course des Kierland Golf Resorts.
Traumziel für Golftouristen: Scottsdale mit seinen 51 spektakulären Golfanlagen - hier der Blick auf den Acacia-Course des Kierland Golf Resorts. | © Wolfgang Weber


„Dann haben wir uns hier in ein Time-Sharing-Projekt eingekauft und blieben jeweils einen Monat. Aber jetzt wollen wir uns eine Villa in einem Golfresort zulegen und in Zukunft – mit kurzen Unterbrechungen – wohl jeweils von Weihnachten bis in den April hier bleiben.” Und dann ergänzt der leidenschaftliche Golfer aus dem hohen Norden: „Believe me: There’s no better place in winter than The Valley of the Sun!”

Das sehen auch die Verantwortlichen und Aktiven der größten amerikanischen Profi-Sportverbände so. Und genau deshalb könnte die Rollenverteilung in den sportverrückten USA für die kommenden beiden Monate nicht klarer sein: 49 Staaten sitzen auf der Tribüne bzw. vor der Glotze. Und der 50. Bundesstaat, Arizona, bildet die eine große Bühne, auf die alle starren - hunderte Millionen Augenpaare aus den USA, Kanada und der ganzen Welt. Denn im Februar und März ist das Valley of the Sun, sind Phoenix und seine Vorstädte Glendale und Scottsdale, „the place to be“ für alle, deren Herz für Golf, American Football oder Baseball schlägt.  

„The greatest show on grass“

Auch wenn die weltbesten Golfprofis erst am nächsten Donnerstag, dem 9. Februar, die erste Runde der Waste Management Phoenix Open auf dem von Tom Weiskopf kreierten TPC Scottsdale Stadium Course absolvieren, spielt die Region schon eine knappe Woche vorher komplett verrückt mit jeder Menge sportlicher und kultureller Rahmenveranstaltungen. Dass die 1932 erstmals ausgetragenen Phoenix Open seit langem als „the greenest and greatest show on grass“ gelten, ist bei weitem kein leerer Werbespruch: Das Turnier lockt alljährlich an die 600.000 Fans an und darf sich damit rühmen, das bestbesuchte Traditions-Golfturnier der Welt zu sein. 

In diesem Jahr freilich haben es die amerikanischen Sportevent-Planer auf die Spitze getrieben: Der Finaltag der Phoenix Open fällt - wie schon einmal 2008 - zusammen mit dem Super Bowl Sunday im nur wenige Kilometer entfernten Glendale. Wenn am 12. Februar im dortigen University of Phoenix Stadium, der Heimat der Arizona Cardinals, die beiden erfolgreichsten Teams der abgelaufenen NFL-Saison beim größten Einzel-Sportereignis der Welt aufeinandertreffen, herrscht endgültig Ausnahmezustand im Valley of the Sun. 
 

Mit einer guten Portion Cowboy-Romantik schmückt sich bis heute die Old Town von Scottsdale - und preist sich als „The West‘s most western town“.
Mit einer guten Portion Cowboy-Romantik schmückt sich bis heute die Old Town von Scottsdale - und preist sich als „The West‘s most western town“. | © Y. Yovel


„A fun week“

Die beiden populärsten Großereignisse des Golfsports und des American Football am selben Ort und am gleichen Tag regelrecht aufeinanderprallen zu lassen, ist nach Ansicht nicht weniger Einwohner wie Alex Saudargas ein leichtsinniges Abenteuer nicht ohne Risiken. „That will be a fun week“, meint hingegen ganz relaxed Karen Cahn, die PR-Managerin des Westin Kierland Resort. Und die komplette Hotel- und Gastronomie-Branche im Valley of the Sun wird in der Tat sehr viel Spaß haben und im besten Sinne auf ihre Kosten kommen: Sämtliche 69.000 Gästezimmer in den rund 500 Hotels und Resorts von Greater Phoenix sind für Februar und März seit Wochen weitestgehend ausgebucht - obwohl die Preise geradezu durch die Decke gegangen sind. 

Und die sportliche High Season ist nach den Phoenix Open und dem Super Bowl Sunday noch längst nicht vorbei. Nach den Profi-Golfern und den Profi-Footballern sorgen anschließend, bis weit in den März hinein, die Profi-Baseballer dafür, dass zehntausende Fans aus dem ganzen Land einfliegen und für Hochbetrieb nicht nur in den zahlreichen Baseball-Stadien im Valley, sondern auch in den Hotels, Restaurants und auch auf den zahlreichen Golfanlagen sorgen.

Hochbetrieb im Sky Harbour

Wenn, wie schon traditionell im Frühjahr, die San Francisco Giants ihr wochenlanges Trainingslager im Scottsdale Stadium aufschlagen, landen auf dem Sky Harbour Airport in Phoenix jede Menge vollgebuchte Sonderflüge von Southwest und US-Airways mit Hardcore-Fans aus der San Francisco Bay-Area. Und aus Denver/Colorado machen sich zeitgleich tausende Anhänger der Colorado Rockies per Flieger oder auch in einer Autokolonne auf den Weg nach Scottsdale, um ihre Lieblinge bei der Vorbereitung auf die neue Saison anzuspornen. Und treffen dort auf ebenso enthusiastische Fans aus Chicago, Philadelphia und anderen Städten im kalten Norden, die das Spring Training unter der Sonne Arizonas für einen sportlich angehauchten Party-Urlaub nutzen.


Im Valley of the Sun trifft sich im Frühjahr förmlich die halbe Major League Baseball, um Kondition zu tanken, raffinierte Spielzüge einzuüben und gegeneinander Testspiele auszutragen: San Francisco gegen Denver oder die Chicago White Sox gegen die einheimischen Arizona Diamondbacks. 

Winter- und Frühlingszeit ist Erntezeit im Grand Canyon State mit seinen über 200 registrierten Golfplätzen. Und nirgendwo fällt die Ernte reicher aus als im kleinen, wohlhabenden Scottsdale mit seinen gerade mal 250.000 Einwohnern. Das entspricht, nur zum Vergleich, einem kleineren Stadtbezirk der deutschen Hauptstadt Berlin. Die knapp 478 Quadratkilometer, auf denen sich die nordöstliche Vorstadt von Phoenix ausbreitet, entsprechen hingegen immerhin gut der Hälfte der Landfläche Berlins. Der kleine Unterschied: Innerhalb der Berliner Stadtgrenzen gibt es drei Golfanlagen, in Scottsdale hingegen derzeit exakt 51. Eine größere Golfplatzdichte im Verhältnis zur Einwohnerzahl gibt es weltweit nur noch einmal - fünf Autostunden weiter nordwestlich, im kalifornischen Palm Springs. 

The West‘s most Western Town

Auch für das Wohlfühlprogramm der Snowbirds nach der im GPS-Cart absolvierten Golfrunde ist bestens gesorgt. „Scottsdale hat im Verhältnis zur Einwohnerzahl mehr luxuriöse Resort- und Day-Spas als jede andere Stadt der Welt“, verkündet stolz Christina Dicksen von der Tourismus-Werbung „Experience Scottsdale“. Wohl in kaum einem anderen Job gehören Superlative so selbstverständlich zum normalen Sprachgebrauch. Die Rückenlehne der schlichten Holzbank, auf der wir beim abendlichen Bummel durch die von Kunstgalerien, Souvenirshops mit Cowboy-Flair und überfüllten Saloons gesäumte Main Street in Downtown kurz rasten, schmückt der geradezu kraftstrotzende Spruch: „Scottsdale - the West‘s most Western Town“. 

Dass Arizonas Tourismuswerber, wenn‘s um internationale Gäste geht, seit Jahren gerade Deutschland besonders in den Fokus nehmen, hat einen ganz besonderen Grund. 2019, kurz vor Corona, zählte Arizona 145.000 deutsche Gäste, die zumeist in Phoenix landeten und von hier aus den Grand Canyon, die Rodeo-Stadt Tucson oder auch die White Mountains bei Flaggstaff besuchten. Aus keinem anderen Land außerhalb Nordamerikas kamen mehr Gäste, auch dank sommerlicher Direktflüge der Charter-Airline Condor von Frankfurt nach Phoenix, und Christina Dicksen und ihre Kollegen hoffen, die bisherige Rekordzahl 2023 nochmals zu übertreffen.

Einen großen Anteil der deutschen Gäste in Arizona machen selbstredend Golferinnen und Golfer aus, die vor allem ein Ziel haben: Scottsdale mit seinen großartigen, vielfach preisgekrönten, von Tom Weiskopf, Jack Nicklaus oder anderen legendären Course-Designern geschaffenen Edelplätzen am Rande der Sonora-Wüste mit ihren stolzen endemischen Saguaro-Kakteen, wie man sie aus alten Western-Filmen kennt.
 

Die spektakuläre Landschaft der Sonora-Wüste sorgt für den eigentümlichen Reiz der Golfplätze von Scottsdale - hier Troon North.
Foto: Wolfgang Weber
Die spektakuläre Landschaft der Sonora-Wüste sorgt für den eigentümlichen Reiz der Golfplätze von Scottsdale - hier Troon North. Foto: Wolfgang Weber | © Wolfgang Weber


Deutsche reisen antizyklisch

Was die deutschen Gäste für Arizona so wertvoll macht: Sie kommen überwiegend antizyklisch, also im Sommerhalbjahr, wenn die amerikanischen und kanadischen „Snowbirds“ sich weitgehend wieder in den Norden verzogen haben - und viele Hotelzimmer und Ferienwohnungen leer stehen. Die Deutschen urlauben preisbewusst und nehmen dafür Temperaturen nahe 40 Grad Celsius in Kauf - sogar auf den Golfplätzen. Selbst absolute Top-Plätze wie die berühmten Monument und Pinnacle Courses von Troon North ganz im Norden Scottsdales kann man in der Nebensaison, also im Hochsommer, für Greenfees um die 100 Dollar buchen. 

Wer dort jetzt, in der durch Golf-, Football- und Baseball-Profis und ihre Fan-Heerscharen angeheizten High Season, eine Runde buchen will, hat allenfalls noch die Chance, einen Restplatz zu völlig abgehobenen Preisen zwischen 500 und 600 Dollar zu ergattern. Wer seine Abschlagzeit nicht schon vor Monaten gebucht hat und naiv-leichtsinnig an der Rezeption im Clubhaus anfragt, wird in aller Regel wenig Glück haben: „Sorry, we‘re sold out!“

Exklusives Golfvergnügen

Wem es beim Preis auf ein paar Nullen vor dem Komma nicht ankommt, muss freilich auch im Umfeld von Phoenix Open und Super Bowl Sunday die Hoffnung nicht vorzeitig begraben. Da gibt es jenen Privatclub - lassen wir jetzt mal den Namen beiseite - nahe dem Pinnacle Mountain mit drei herausragenden Plätzen und ebensolchen Eintrittspreisen. Von 150.000 Dollar Aufnahmegebühr ist die Rede. Wer nur ein einmaliges, dafür sehr exklusives Golfvergnügen sucht, kann ein dreitägiges „luxury golf-weekend“ buchen, mit Privatvilla, Sterneküche, gefitteten Schlägersatz, Golf-as-much-as-you-can, Massagen und allem Drum-und-Dran, für schlappe 30.000 $ - pro Person, versteht sich. 

Alex Saudargas kennt Leute, die sich das gegönnt haben. Er selbst könnte es sich vermutlich auch leisten, aber er winkt ab: „No, thank you, but that‘s insane“ - ‚das ist  einfach nur verrückt.‘ Was sein Schwiegerpapa einst nicht ahnen konnte: In Scottsdale 
ist das Golfspielen zu Alex‘ großer Liebe geworden. Aber auch für die Liebe, meint der 80jährige Ausnahme-Golfer, sollte man nicht komplett verrückt spielen.

Die ganze Geschichte erzählt die neueste Episode des Golfreise-Podcasts „EverGreens“. Den Podcast finden Sie bei Spotify,auf Apple Podcast, überall sonst, wo es gute Podcasts gibt - auch auf golf.de und auf der Webseite www.ever-greens.de