Kolumne

Stehgolf


14. November 2022 , Christopher Tiess


Sitzgolf - ein Derivat des Stehgolf. Manchmal ist die gute Laune lediglich eine Frage des richtigen Equipments.
Sitzgolf - ein Derivat des Stehgolf. Manchmal ist die gute Laune lediglich eine Frage des richtigen Equipments. | © (Foto: DGV/ Tiess)

Lebenserfahrungen, Reise-Anekdoten und immer wieder Geschichten aus dem Kuriositätenkabinett namens Golfsport: in seiner Kolumne „The Social Golfer“ spiegelt der Projektmanager, Journalist und Fotograf Christopher Tiess seine Eindrücke aus der Welt wider und schlägt dabei die Brücke zu gesellschaftlichen und sozialen Themen.

THE SOCIAL GOLFER

Liebe Leidensgemeinschaft,

die folgende Situation kennen Sie alle: ein wunderschöner Nachmittag. Man hat keine Termine mehr im Kalender. Man verabredet sich mit den Freunden auf dem Golfplatz. Es winkt ein herrlicher Spaziergang durch den 70 Hektar großen Garten, für den wir jedes Jahr unseren Mitgliedsbeitrag zahlen. Vielleicht ist sogar ein Prosecco mit im Gepäck und das Leben könnte kaum schöner sein. Doch dann taucht auf Bahn drei plötzlich der Flight vor uns auf. Die Leute dort gehen irgendwie viel zu langsam. Und warum rennen die überhaupt ständig ins Rough. Ach, und jetzt  toppt der eine seine Murmel. Und der andere haut so einen Pull-Slice in das Rough auf die andere Seite des Fairways. Krise!! 

Und recht haben Sie. Natürlich ist das langsame Spiel unserer Vorderleute ärgerlich. Aber denken Sie immer daran: hier auf dem Golfplatz zu warten, ist wahrscheinlich das schönste Warten von allen. Viel besser als an der Supermarktkasse anzustehen. Oder eine Nummer beim Amt zu ziehen. Und man kann die Zeit so herrlich nutzen, um sich zu dehnen oder ein paar Probeschwünge zu machen. Oder man lässt sich vom letzten Urlaub der Mitspieler erzählen. Denn niemand von uns weiß, was mit unseren Vorderleuten los ist. Vielleicht ist der ältere Herr gerade erst von einem Schlaganfall genesen oder die Dame ist nach erfolgreicher Knie-OP die Geh-Hilfen losgeworden. Wir wissen jedoch, dass sie eine große Zuneigung zu diesem Sport haben – so wie wir auch. Vielleicht war es nicht die beste Entscheidung, die Runde ohne Kart zu absolvieren. Doch mal ehrlich: was ist der Golfsport denn schon wert, wenn man die Runde fährt? Fühlen Sie sich danach wirklich genauso gut? Ich jedenfalls kann das nicht von mir behaupten. 

Und ich möchte Ihnen eine kleine Geschichte erzählen. Ich habe viele Jahre lang die Turnierserie einer bekannten Reederei organisiert. Das Abschlussturnier haben wir, wie so oft damals, auf der Deutschen liebsten Insel organisiert. Großes Highlight war die Abschlussveranstaltung an Bord eines der Schiffe. Wir hatten die schönste Bar allein für uns – mit großer Terrasse und Blick auf die illuminierte Altstadt von Palma de Mallorca. Es war jedes Mal ein wunderschönes Event – und das sprach sich herum. Das Abschlussturnier wurde unheimlich populär und wir wollten es allen recht machen. Und wie so oft: die „wichtigsten“ Leute meldeten sich natürlich erst zum Schluss. Genau jene Leute also, die sich direkt über die Geschäftsleitung anmeldeten – und denen man ganz gewiss nicht absagen konnte. Am Ende hatten wir 144 Teilnehmer auf unserer Startliste. Wir starteten von morgens 06:40 Uhr an – die ersten Flights sind direkt aus der Hoteldisko an den Start gegangen. Und gefühlt ging es den ganzen Tag über rein gar nicht voran. Aber dann kam das Kuriose: wir sind die Runden über den Platz gefahren und haben versucht, die schlechte Laune wegzufangen. Doch die war gar nicht da. Alle freuten sich, dabei zu sein. Es war ein wunderschöner Ort, es war eine besondere Veranstaltung und alle hatten zum Ende des Tages dasselbe Ziel: den Blick in die Nacht von Palma. 

Ich gebe zu: heute würde ich Ihnen ein solches Stehgolf-Turnier nicht mehr antun wollen. Und doch war es irgendwie eine schöne Erfahrung. Am Ende ist das Leben eben das, was man selbst daraus macht. In diesem Sinne, bleiben Sie wohl gesonnen. Dem Golfsport, Ihren Vorderleuten und vor allem sich selbst. Denn die Nerven, die Sie beim Ärgern lassen, gibt Ihnen niemand zurück. Glauben Sie an das Gute im Menschen. Das schlimmste, was passieren kann, ist dass Sie etwas länger in Ihrem Lieblingsgarten verweilen – gemeinsam mit Ihren Freunden.

Mit sportlichem Gruß,

Ihr Christopher Tiess

 

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