Regelfest

Zwei Profis und die Frage: Wer ist dran?


2. April 2024 , Daniel Dillenburg


Gerieten bei der Houston Open aneinander: Alejandro Tosti und Tony Finau.
Gerieten bei der Houston Open aneinander: Alejandro Tosti und Tony Finau. | © Joe Scarnici/Getty Images

Zwei Bälle liegen nebeneinander und identisch weit weg vom Loch. Eine solche Situation kommt häufig vor, doch bei der Houston Open sorgt sie für eisige Stimmung und lange Diskussionen zwischen zwei Spielern.

Diskussionen zwischen Spielpartnern auf dem Golfplatz sind keine Seltenheit. Selten endet eine Debatte jedoch in Uneinigkeit. Erst recht nicht auf Profiniveau. Eine Ausnahme bot die dritte Runde der Houston Open, einem Turnier der PGA Tour. Hier spielten der Argentinier Alejandro Tosti und der Ryder-Cup-Spieler Tony Finau am Samstag zusammen. Als beste Freunde sind die beiden nach ihren gemeinsamen 18 Löchern gewiss nicht vom Memorial Park Golf Course gegangen. Was war vorgefallen?

Finau und Tosti spielten gemeinsam mit dem Belgier Thomas Detry in der letzten Gruppe des Tages. Es ging also bereits um einiges in dieser dritten Runde. Als die Gruppe das vierte Grün erreichte, hatten sich sowohl Finau als auch Tosti im Verlauf der Runde bereits Fehler erlaubt. Nach ihren jeweiligen Annäherungen auf Loch vier lagen ihre Bälle nur wenige Zentimeter auseinander. Umgehend stellte sich die Frage: Wer lag weiter vom Loch entfernt und war damit als erster an der Reihe? Beide zögerten, liefen um ihren Ball herum und sahen sich die Putt-Line an, im Glauben, dass der andere vorlegen würde.

Wildes Szenario

Der On-Course-Reporter des NBC, John Wood, beschrieb die Situation wie folgt: „Es fühlt sich im Moment fast wie eine Matchplay-Situation an.“ Beide hätten sich gerne die Linie vom Konkurrenten zeigen lassen, um sich einen Vorteil für den eigenen Birdie-Putt zu verschaffen. Die Diskussion begann, doch einigen konnten sich Finau und Tosti nicht. Also holten sie eine dritte Meinung hinzu. Detry war der Meinung, Tostis Ball läge weiter vom Loch entfernt. Finau markierte seinen Ball und Tosti begann seine Schlagvorbereitung. Doch der Argentinier schien nicht erfreut zu sein und ließ sich auffällig viel Zeit beim Lesen seines Putts. Tosti stand hinter seinem Ball, grinste und markierte seinen Ball erneut – dieses Mal mit seinem Tee.

Hier begann das von NBC-Analyst Steve Sands bezeichnete „wilde Szenario“. Denn Tosti war mit der Entscheidung nicht einverstanden und konfrontierte Finau erneut. Es wurde weiterdiskutiert. Inzwischen hatte sich bei der Übertragung des Golf Channel Mark Dusbabek, Rules Official der PGA Tour, eingeschaltet. Außer, dass nicht in der korrekten Reihenfolge gespielt werden würde, hätte hier nichts passieren können. Wenn sie es genau wissen wollten, könnten sie auch die technischen Daten bei ShotLink überprüfen. Da das System der PGA Tour jedoch für beide Bälle die gleiche Distanz zum Loch angab – 38 Fuß, 8 Inches, umgerechnet 11,79 Meter – halfen diese Informationen auch nicht weiter.

Absprache oder Zufallsverfahren

Und was sagen die offiziellen Golfregeln? Anders als beim Lochspiel droht beim Zählspiel keine Konsequenz, wenn aus der Reihe gespielt wird, außer „zwei oder mehr Spieler vereinbaren, außerhalb der Reihe zu spielen, um einem von ihnen einen Vorteil zu verschaffen und einer der Spieler spielt außerhalb der Reihe, dann zieht sich jeder der Spieler, der dies vereinbarte, die Grundstrafe (zwei Strafschläge) zu“. Von einer Vereinbarung waren Tosti und Finau aber recht weit entfernt. Und so hätte ein anderer Satz in Regel 6.4b (1) herangezogen werden müssen: „Sind zwei oder mehr Bälle gleich weit vom Loch entfernt oder ist ihre jeweilige Entfernung zum Loch unbekannt, sollte durch Absprache oder ein Zufallsverfahren festgelegt werden, welcher Ball zuerst gespielt wird.“

Diese Methode des Zufallsverfahren schlug auch Dusbabek vor: „Wenn sie einen Referee holen, können sie die Münze werfen und einfach weitermachen.“ Der Münzwurf war letztlich aber nicht notwendig. Nach längerer Absprache kam es endlich zur Einigung. Finau verschob seinen Ballmarker um eine Schlägerkopfbreite nach links und nach knapp dreieinhalb Minuten Diskussion erbarmte sich Tosti, seinen Putt als erster auszuführen. Beide verpassten ihre Birdie-Putts. Doch beendet war dieses kleine Tête-à-Tête damit noch nicht. Tosti, für seine emotionale Art auf dem Golfplatz bekannt, lochte auf der Fünf zum Birdie und ballte seine Faust direkt vor Finau - etwas, das laut On-Course-Reporter Wood offenbar beabsichtigt war.

Total eisig

Doch damit nicht genug: Auf Loch sechs kam es zur nächsten Reihenfolgedebatte zwischen den beiden. „Man kann die Spannung zwischen Finau und Tosti jetzt mit einem Messer durchschneiden“, beschrieb Wood die Stimmung auf dem Platz. „Tony hat nur auf ihn gezeigt und ist weggegangen. Tosti lächelte, als wolle er sagen: ‚Du machst Witze, oder?‘ Es ist einfach total eisig. Es ist überhaupt nicht angenehm zwischen den beiden. Es gibt nur Spannungen.“ In diesem Fall lag Finau zwar nicht auf dem Grün, aber dafür etwas näher am Loch. Erneut war also Tosti zuerst an der Reihe.

Zwei Löcher später schienen die Wogen zwischen den beiden etwas geglättet. Doch wie schnell die Harmonie in einer Gruppe zerstört werden kann, wenn nur ein Spieler auf seinem Recht besteht, zeigte dieses Beispiel aus Runde drei der Houston Open. Golf ist immer auch ein Miteinander – erst recht im Zählspiel.

Das sagt DGV-Regelfachmann Dietrich von Garn dazu:

Es gibt eigentlich nichts Unprofessionelleres als Zänkerei und Emotionen zwischen Spielern. Der übliche Unterschied zwischen Professional Golf und Club Golf ist, dass auf der Tour ein Mitspieler bestenfalls sagen wird „Hol´einen Referee“ und dann wieder auf Abstand geht, während Clubgolfer begeistert eine Diskussion beginnen, die sie komplett aus der Konzentration bringt (wenn sie jemals konzentriert waren).

Ich habe in einer Deutschen Meisterschaft der AK16 einmal den Fall gehabt, dass eine Spielerin der Ansicht war, dass eine andere Spielerin ihre Spiellinie verbessert hätte, obwohl ich als Referee keine zehn Meter entfernt stand und nicht tätig wurde. Sie schickte mich dort hin, ich vergewisserte mich, dass nichts passiert war und teilte es beiden Spielerinnen mit. Diejenige, die gerne einen Regelverstoß gesehen haben wollte, war über meine Auskunft so aufgebracht, dass sie einen Vorsprung von vier Schlägen auf den letzten sechs Löchern verspielte, und alles nur, weil sie sich um Dinge gekümmert hatte, für die sowieso schon ein Referee vor Ort war. 

Wenn die beiden Kollegen auf der Tour der Ansicht waren, den Fernsehzuschauern etwas bieten zu müssen, so ist das deren Sache. Wenn sie hinterher ausrechnen, wo sie ohne die Streitereien hätten liegen können, ärgern sie sich vielleicht nochmals.

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