Menschen

Der Schatten der großen Schwester


15. März 2023 , Thomas Fischbacher


Erfolgreiches Geschwisterpaar: Min Woo und Minjee Lee
Erfolgreiches Geschwisterpaar: Min Woo und Minjee Lee | © Daniel Pockett/Getty Images

Min Woo Lee überzeugt bei der Players Championship bis zum Finale. Ein erster Schritt, um aus dem Schatten der älteren Schwester zu treten.

Der Name Min Woo Lee war Kennern der Golfszene bereits vor der Players Championship ein Begriff. Nicht nur als jüngerer Bruder der amtierenden US-Womens-Open-Gewinnerin Minjee Lee. Schließlich setzte sich der Australier mit südkoreanischen Eltern im Sommer 2021 bei der prominent besetzten Scottish Open durch, entwickelte sich zu einem Top-50-Spieler und ist seither Stammgast bei den Majors. Auf der PGA Tour kennt das Top-Talent jedoch noch nicht jeder. 

Bei der Players konnte die Golfwelt seinen explosiven Schwung bestaunen. Und das ist ist nicht nur so dahin gesagt: Lees Bewegung sticht durch eine unwirkliche Dynamik sogar aus der Weltspitze noch heraus. Ein paar Zahlen? 13 Mal knackte er während der Players die auf der PGA Tour durchaus seltene Marke von 190 Stundenmeilen Ballgeschwindigkeit. Die Wucht, mit der der 24-Jährige den Ball mit seinen langen Eisen auf die Reise schickt, erreichen einige Kollegen mit dem Driver nicht. 
 


Einbruch im Finale

Lee war gerade so über die Weltrangliste ins elitäre Feld gerutscht, drehte an den ersten drei Tagen auf und spielte bis vor dem Finale ganz vorne mit. Es hätte sein Sonntag werden können, der erste ganz große Titel, doch es sollte anders kommen. "Am Samstag hat sich mein Schwung angefühlt, als wäre es der beste der Welt, heute ging dann einfach alles schief", so zog er eine trockene Bilanz über einen gebrauchten Tag, der mit 76 Schlägen und Platz sechs endete. Vielleicht war das Szenario, gemeinsam mit Masters-Gewinner Scottie Scheffler um den mit 4,5 Millionen Dollar dotierten Titel zu spielen, noch zu überwältigend.

Stolz war Lee, dessen Woche mit einer allergischen Reaktion auf Nahrungsergänzung begonnen hatte, dennoch auf seine Leistung. Er hätte alles gegeben, es hätte auch noch viel schlechter laufen können. Mit Birdies auf der 16 sowie dem Inselgrün klang die Runde versöhnlich aus. 

Auf dem Spiel stand auch die Karte für die PGA Tour – das große Zwischenziel des Sohnes einer Golflehrerin. "Ich wusste im Hinterkopf, dass ich gut abschließen musste", verriet er. "Hoffentlich kann ich bei den nächsten PGA-Tour-Turnieren, an denen ich teilnehme, gut abschneiden und weiter auf der Tour abschlagen."

Die Sache mit dem Schatten

Stolz war auch Lees prominente Schwester auf die Leistung des kleinen Bruder. Minjee Lee hat acht Titel auf der LPGA Tour gewonnen, belegt aktuell Platz fünf der Weltrangliste und ist zweimalige Major-Siegerin. Minjee hat im Damengolf das erreicht, was Min Woo bei den Herren schaffen möchte: Große Titel gewinnen und sich in der Weltspitze etablieren. 

"Manchmal ärgere ich mich ein bisschen darüber, dass ich in ihrem Schatten stehe", sagte Lee einmal in einem Gespräch mit der PGA Tour. Es wäre eine Motivation für ihn geworden, dies zu ändern. So sieht es auch die Schwester: "Ich glaube, das hat ihn ein bisschen genervt, aber er schreibt jetzt sein eigenes Buch, und das ist toll zu sehen." 

Eine Rivalität gibt es im Hause Lee selbstverständlich nicht. Man gönnt sich gegenseitig die Erfolge. "Du arbeitest so hart und das inspiriert nicht nur mich, sondern so viele andere Menschen weltweit", schrieb er nach dem Womens-US-Open-Sieg seiner Schwester auf Instagram. "Ich bin stolz auf ihn, ganz egal wie er bei der Players am Ende abschneidet. Er zeigt allen, was er am besten kann", gab Minjee vor der Finalrunde der Players zum Besten. 


Die große Schwester aus Vorbild

Besonders an der Arbeitsmoral will sich der jüngere Bruder noch einiges abschauen. "Sie zieht alle Drills durch, und das ist eine Sache, die ich zu verbessern versuche. Wenn ich mich müde fühle, höre ich auf. Ihre Ausdauer ist erstaunlich, denn sie bleibt bei etwas, das sie tun muss, und bringt es zu Ende."

Bei der Players fehlte dem Top-Talent aus Perth nur eine starke Schlussrunde für einen der größten Titel des Golfsports. Gut möglich, dass er schon bald endgültig aus dem Schatten der Schwester heraustritt.