Reise

Mit einer Wette begann der ganze Zirkus


15. Dezember 2022 , Redaktion Golf.de


Golfen in grandioser Bergwelt, hoch über St. Moritz: der Kulm-Platz.
Golfen in grandioser Bergwelt, hoch über St. Moritz: der Kulm-Platz. | © Y. Yovel

St. Moritz - wo Wintersport und Alpengolf erfunden wurden. Eine EverGreeens-Reportage von Reiseexperte Wolfgang Weber.

Text: Wolfgang Weber

15.000 Kubikmeter Schnee und 7.000 Kubikmeter Wasser - mehr Zutaten brauchen sie nicht, die Spezialisten aus Südtirol, die jedes Jahr im Dezember den gut 1.700 Meter langen Olympia Bob Run in die steilen Hänge des Kulm Parks zwischen St. Moritz und Celerina zaubern. In diesem Winter, Ende Januar/Anfang Februar, ist die einzige Natureis-Bobbahn der Welt Schauplatz der Bob- und Skeleton-WM. Tausende Wintersportfans an der Strecke und Millionen an den Bildschirmen werden die wilden Fahrten der Mono-, 2er- und 4er-Bobs und der Skeletonis durch die berühmt-berüchtigten Steilkurven „Sunny Corner“ und „Horseshoe“ verfolgen. 

Warum das hier Erwähnung findet? Weil im kurzen Oberengadiner Sommer, wenn der Schnee wieder geschmolzen ist, im Arvenwald, rund um das Starthaus des Bob Run und die „Sunny Corner“ Anhänger des Grünen Sports auf einem der höchstgelegenen und spektakulärsten Hochgebirgs-Golfplätze voll auf ihre Kosten kommen. Und weil im späten 19. Jahrhundert genau hier, auf dem Gelände des altehrwürdigen Kulm-Hotels, ein zweifacher „Urknall“ geschah - für den Wintersport und für das Golfen in den Alpen. 

„St. Moritz - the original in winter tourism since 1864“, wirbt der Nobelort, der sich ganz ohne britisches Understatement gern auch als „Top of the world“ bezeichnet, bis heute. Nach „britischen Understatement“ klingt das nicht gerade; dabei hat in St. Moritz im Grunde alles mit Gästen von den britischen Inseln begonnen, sowohl für die Winter- als auch für die Sommersaison. Und zwar mit einer Wette. 

„Sunny Corner“ im Arvenwald - im Sommer Golfplatz, im Winter Olympia Bob Run.
„Sunny Corner“ im Arvenwald - im Sommer Golfplatz, im Winter Olympia Bob Run. | © Y. Yovel

1864 begann der Wintertourismus

Es ist ein kühler Herbstabend 1864. Hotelchef Johann Badrutt sitzt mit einer Handvoll englischer Gäste, die sich am nächsten Tag auf den weiten Heimweg machen wollen, bei ein paar harten Drinks im Kaminzimmer seines Grandhotels Kulm. Und redegewandt, wie er nun mal ist, pflanzt er den Briten eine Idee ins Hirn, die bis dahin europaweit ein absolutes No-Go gewesen ist: Winterurlaub hoch in den Schweizer Bergen. Badrutt schwärmt den anfangs skeptischen Gästen vor von den meist sonnigen Tagen in tief verschneiter Landschaft, von Winterromantik pur, einem „true paradise“ auf Eis und in Weiß. 

Und der Schlaufuchs geht mit den Gästen eine Wette ein, die nur scheinbar riskant ist: Sie alle sollen für ein paar Wochen kommen, Kind und Kegel und Freunde mitbringen und sein großes Winter-Versprechen testen. Und wenn’s ihnen nicht gefallen sollte, erstattet er ihnen die kompletten Reisekosten. Die neugierig gewordenen Briten reisen in großer Gruppe kurz vor Weihnachten wieder an - und bleiben bis Ostern. Als Vollzahler, versteht sich. 

Allerdings - die Wintersportarten mußten seinerzeit großenteils erst noch erfunden werden. Dafür wurden Badrutts Hotel und der Kulm Park zum idealen Versuchslabor. Die auf den Geschmack gekommenen Wintertouristen berauschten sich in den Folgejahren an immer neuen Sportarten: Eislaufen, Kutschfahrten und Pferderennen auf dem zugefrorenen St. Moritzer See, Skilaufen an den Hängen von Corvatsch und Diavolezza. Und 1894 wurde im Kulm-Park die erste Natureis-Rodel- bzw. Skeletonbahn der Welt gebaut - thank God! Denn die erlebnishungrigen Winterurlauber waren zuvor vom Kulm mit Karacho die engen Dorfgassen hinunter gerodelt und hatten dabei sich selbst und die Dörfler ein um’s andere Mal in akute Lebensgefahr gebracht. 1904 wurde daraus der deutlich verlängerte Bob-Run, der zweimal, 1928 und 1948, zu olympischen Ehren kam.  

Während also dank Johann Badrutt und seinen kaum minder experimentierfreudigen und geschäftstüchtigen Nachfolgern die Wintersaison und der Wintersport in St. Moritz immer mehr aufblühten, drohte die gute alte Sommerfrische im Engadin mit den wichtigsten Betätigungen Wandern und faul-in-der-Sonne-liegen arg ins Hintertreffen zu geraten. Die Rettung kam wieder mal aus England, und ihr Name war: Golf. 

In der „Champagna“ bei Samedan, wenige Kilometer unterhalb von St. Moritz, liegt der älteste Golfplatz der Schweiz und der gesamten Alpen.
In der „Champagna“ bei Samedan, wenige Kilometer unterhalb von St. Moritz, liegt der älteste Golfplatz der Schweiz und der gesamten Alpen. | © Y. Yovel

Import von der Insel: Golf

Conradin Flugi, ein anderer St. Moritzer Hotelpionier, war durch Erzählungen seiner britischen Gäste auf diesen „neumodischen“ Sport neugierig geworden, der in England und Schottland immer mehr Menschen begeisterte und auf den sie auf Dauer auch im Sommerurlaub auf dem Kontinent nicht mehr würden verzichten wollen. Im Sommer 1889 reiste Flugi kurzentschlossen eigens auf die Insel, um sich im Mutterland des grünen Sports Ideen für den Bau eines Golfplatzes im Engadin zu holen. 

Schon im darauffolgenden Sommer, so ist es im „Engadine Year Book“ von 1890 festgehalten, hielten Conradin Flugi und seine Kollegen die britischen Sommergäste mit einem vermutlich noch nicht ganz meisterschafts-tauglichen 9-Loch-Platz am Seeufer unterhalb des Kulm, zwischen dem heutigen Bahnhof und St. Moritz-Bad, bei Laune. Es war der zweite Urknall von St. Moritz und eine der ersten Pioniertaten, den Golfsport „on the continent“ zu etablieren.  

Das wirkliche „St. Andrews der Schweiz“ entstand freilich nicht in St. Moritz selbst, sondern im Jahr 1893 in der „Champagna“, den Wiesen und Feldern beim ebenfalls schon touristisch angefixten Nachbarort Samedan. Ein brettebenes Gelände mit vielen kleinen Bächen und Teichen und teilweise über 700 Jahre alten Lärchen, deren Spitzen zerzaust sind von Blitzeinschlägen und Stürmen. Oder vielleicht auch nur vom Majola-Wind, der immer ab 12 Uhr mittags - man kann fast seine Schweizer Uhr danach stellen - über den Majola-Paß aus Italien, vom Lago di Como, herüberweht und oft genug den Longhittern auf dem Samedan-Kurs den Score vermiest. Am 1. und 2. August 1893 fand im Engadine Golf Club das erste Golfturnier der Schweiz und der gesamten Alpen statt, ein „Mixed Foursome“ für „Members Only“, wie die „Alpine Post“ damals berichtete. 

Einheimische unerwünscht

Das Engadin darf sich seitdem ebenso stolz wie berechtigt als „Home of Swiss Golf since 1893“ bezeichnen. Allerdings: Als Club-Mitglieder zugelassen und somit spielberechtigt waren jahrzehntelang nur - vornehmlich britische - Feriengäste sowie deren Gastgeber und Freunde. Die sonstigen Einheimischen durften den schönen Golfplatz nur als Greenkeeper oder als Caddies betreten. Erst 1949 wurde für einheimische Golfer der Samedan Golf Club gegründet. Der besaß zwar als zweiter Club Spielrechtauf dem Platz in der Champagna; doch dauerte es noch bis in die 70er Jahre, bis der Club der Engadiner aufgenommen wurde in die Association Suisse de Golf (ASG). 

Nur drei Jahre nach Eröffnung des ersten 18-Löcher-Platzes der Schweiz und der gesamten Alpenkette in Samedan hatte auch St. Moritz standesgemäß wieder einen neuen Superlativ zu bieten: Im Kulm-Park wurde 1896 der hoteleigene 9-Loch Executive Golfkurs eröffnet, auf gut 1800 Höhenmetern einer der höchstgelegenen Golfplätze Europas: Ein kurzes, aber anstrengendes, weil steiles Auf und Ab, bei dem sich ein möglichst leichtes Tragebag empfiehlt, in dem jeder Schläger jenseits des 7er Eisens lästiger und unnötiger Ballast wäre. 

Der Platz, der 2001 vom St. Moritzer Urgestein und Golfarchitekten Mario Verdieri neu konzipiert und veredelt wurde, führt vorbei am Starthaus der Bobbahn, das zugleich den legendären, 1979 von Star-Fotograf und Berufs-Playboy Gunter Sachs gegründeten „Dracula-Club“ beherbergt, und über die „Sunny Corner“, bietet zauberhafte Ausblicke auf das Kulm, auf den Ort St. Moritz und den See und auf 360 Grad grandioser Schweizer Bergwelt. 

Ein steiles Auf und Ab bietet der Kulm-Golfplatz, einer der höchsatgelegenen Alpenplätze.
Ein steiles Auf und Ab bietet der Kulm-Golfplatz, einer der höchsatgelegenen Alpenplätze. | © Y. Yovel

Wintergolf auf dem See

Jüngster und golferisch wohl anspruchsvollster der mittlerweile drei Engadiner Golfplätze ist die 2003 eröffnete Golfanlage Zuoz-Madulain. Ein Platz mit vielen Herausforderungen: Da gilt es, carry eine ziemlich breite Schlucht zu überwinden, mehrere spannende doglegs strategisch klug anzugehen, geradezu gemeine Schräglagen einzukalkulieren und ein formidables Halbinsel-Grün präzise zu treffen.

Kehren wir noch einmal zurück auf den kurzen, aber spektakulären „Bergziegenplatz“ hoch oben im Kulm Park, wo sich die Winter- und die Sommersaison in St. Moritz auf die Pelle rücken wie an keiner anderen Stelle: Hier schneidet die oberste Steilkurve des Bob-Run das 7. Fairway, ein 120 Meter kurzes Par 3, als merkwürdiger schmaler Erdwall, ohne allerdings ernsthaft ins Spiel einzugreifen. Der Sommersport Golf hat sich längst bei der „Sunny Corner“ revanchiert und kommt seit langem schon seinerseits dem Winter in die Quere:  Seit 1979 finden auf dem zugefrorenen St. Moritzer See Wintergolf-Turniere im Schnee statt, mit roten Bällen. 

Die hätten sicher auch John Plant begeistert, ein zur Werbe-Ikone und zur Legende gewordenes Gründungsmitglied des Engadine Golf Club. Der verfügte seinerzeit übrigens testamentarisch, man möge nach seinem Ableben seine Asche an Loch 14 auf dem Golfplatz in Samedan verstreuen. Und einem Engländer, man ahnt es schon, wurde noch nie ein Herzenswunsch abgeschlagen im schönen Oberengadin…

Die ganze Geschichte erzählt die neueste Episode des Golfreise-Podcasts „EverGreens“. Den Podcast finden Sie bei Spotify, auf Apple Podcast, überall sonst, wo es gute Podcasts gibt - auch auf golf.de und auf der Webseite www.ever-greens.de.