Woods

Sieben Gründe für Tigers mentale Stärke


10. November 2022 , Felix Grewe


Einer der Besten – auch im Kopf: Tiger Woods.
Einer der Besten – auch im Kopf: Tiger Woods. | © Kevin C. Cox/Getty Images

Was zeichnet einen Champion aus? Viele sagen, es sei die Beschaffenheit seiner Gedanken. In einem Video gibt Superstar Tiger Woods nun spannende Einblicke in seinen Kopf...

Es gibt ein bekanntes Zitat von Henry Ford, dem amerikanischen Erfinder und Automobilpionier. Es geht so: „Ob du glaubst, dass du es schaffst, oder ob du glaubst, dass du es nicht schaffst – du wirst auf alle Fälle recht haben!“ Die Bedeutung von mentaler Stärke für Spitzenleistungen ist längst kein geheimes Wissen mehr. Das Training von Konzentration und Fokussierung gehört im Profisport (und sogar in anderen Bereichen) inzwischen genauso zum Alltag wie das Üben von Technik und Taktik, wie Fitnesseinheiten und Regenerationsphasen. Die besten Athleten diverser Disziplinen wissen: Das, was im Kopf passiert, entscheidet häufig über Erfolg und Misserfolg. Einer, dem diese Erkenntnis geholfen hat, sich zum vielleicht besten Golfer der Geschichte zu entwickeln, ist Tiger Woods. In einem Video mit dem Titel „My Mental Game“, das in Zusammenarbeit zwischen dem amerikanischen Magazin Golf Digest sowie GolfTV entstanden ist, erklärt er den Unterschied zwischen den Guten und den Besten so: „Einige spielen Dame, die anderen Schach – und ein paar wenige spielen Eliteschach, sie denken 20, 30 Schritte voraus.“ 

Was es bedeutet, Eliteschach zu spielen, wie Woods es nennt? Eine Annäherung in sieben Punkten

 

1) Maximale Fokussierung

Vielleicht die wichtigste Voraussetzung für Höchstleistungen – nicht nur beim Golf. Ein ruhiger Geist lässt Selbstzweifeln und Versagensängsten weniger Platz im Kopf. Grundsätzlich gilt: Je länger wir unsere Gedanken schweifen lassen, desto mehr neigen wir zu Ängsten, Vergleichen und Verurteilungen. Dabei ist es nicht wichtig, ob man sich auf einen Golfball konzentriert oder bei einem Meeting auf seinen Gesprächspartner. Ob man beim Masters in Augusta abschlägt oder auf einer beliebigen Wiese zwischen Schleswig-Holstein und Bayern. Die Gleichung ist immer dieselbe: Je fokussierter die Aufmerksamkeit, desto geringer die Selbst-Störungen und desto besser die Leistungen. Woods dazu: „Es geht darum, im Moment zu sein und sich nur darauf zu konzentrieren, was du gerade tust.“

Eine (mentale) Meisterleistung: Tiger Woods' bislang letzter Major-Sieg beim Masters in Augusta 2019.
Eine (mentale) Meisterleistung: Tiger Woods' bislang letzter Major-Sieg beim Masters in Augusta 2019. | © Andrew Redington/Getty Images


 

2) Keine Gedanken ans Aufgeben

Der 15-malige Major-Champion ist selbst das beste Beispiel: Aufgeben war für ihn noch nie eine Option – und wenn doch, dann höchstens kurz. Er hat große und kleine Krisen überstanden, private, sportliche und körperliche. Er hätte sich schon vor vielen Jahren zurückziehen können, da war er bereits ein Champion, hatte von der Süße des Erfolgs zur Genüge gekostet. Und doch entschied sich der Amerikaner bisher immer wieder dazu, weiterzumachen. Den harten Weg zu beschreiten. An sich zu arbeiten, sich zurück zu kämpfen, stetig zu verbessern und all die Schmerzen und Zweifel jedes Mal aufs Neue zu überwinden. „Es gibt Jahre, in denen man einfach nicht gewinnt. Das ist in Ordnung, solange man versucht, sich weiter zu verbessern“, sagte Woods bereits vor fast 20 Jahren, als er sich gerade mitten in der Blütezeit seiner grandiosen Karriere befand. 

 

3) Zielklarheit entwickeln

Das ist beim Golf im doppelten Sinne wichtig. Im unten verlinkten Video erklärt Woods, wie entscheidend oft die kleinen Aspekte auf einer Runde sind. Sie beeinflussen das große Ganze häufig viel mehr als es einem Außenstehenden erscheint. Wo steht die Fahne? Wie ist der Wind? Wo lauern Schwierigkeiten? Aus welcher Box wird gespielt? Welcher Schläger ist der Beste? Eine bewusste Aufmerksamkeit, ein klarer Blick für die Situation, die vor einem liegt, ist oft ein entscheidender Faktor für den Erfolg. Rob McNamara, langjähriger Freund und Trainingspartner von Woods erzählt: „Viele Golfer verstehen zwar die Grundlagen, aber Tiger ist so viel weiter.“ Natürlich: Zielklarheit bedeutet ebenso, die anvisierten Meilensteine nie aus den Augen zu verlieren. 

 

4) Klare Entscheidungen treffen

Spitzensportler lernen früh, was es bedeutet, Verantwortung für die eigenen Entscheidungen zu übernehmen. Und was passiert, wenn Unsicherheiten und Zweifel dominant sind. Jeder einzelne Schlag ist mit einer Entscheidung verbunden – wie, wohin und mit welchem Schläger soll der Ball gespielt werden? In jedem Moment auf einer Golfrunde hat der Spieler die Wahl und die Freiheit, seine Taktik entweder beizubehalten oder zu verändern. Auch in der Vorbereitung müssen eine Reihe von Entscheidungen getroffen werden. Und sogar die eigenen Gedanken während des Spiels sind wählbar und unterliegen deshalb – so bizarr es klingen mag – einerpersönlichen Entscheidung. Je klarer und intuitiver die Entscheidungen eines Spielers, desto größer die Erfolgschancen in der Regel. Das gilt auch in anderen Disziplinen. Der Tennisstar Novak Djokovic sagte einmal: „Es gab Zeiten, in denen ich nicht verantwortungsbewusst und entscheidungsfreudig genug war. Meistens lief es in diesen Phasen auf dem Platz nicht so gut.“ 

 

Frustmoment: Nicht einmal ein Ausnahmesportler wie Woods hat seine Emotionen immer im Griff.
Frustmoment: Nicht einmal ein Ausnahmesportler wie Woods hat seine Emotionen immer im Griff. | © Chung Sung-Jun/Getty Images


5) Herausforderungen als Ansporn

Vielleicht ist es einer der wichtigsten Sätze überhaupt, die Woods in der „My Game“-Folge fast etwas lapidar daher sagt: „Du darfst keine Angst vor dem Scheitern haben“, spricht er, der in seiner Karriere so lange ganz oben stand – und doch auch das Gefühl des Verlierens kennt. Angst vor Herausforderungen ist menschlich. Doch die meisten Top-Athleten schätzen die Möglichkeiten, die sie ihnen bieten weitaus mehr als die Gefahr des Versagens. Sie wollen vor allem eines: immer weiter wachsen. Sich mit den Besten zu messen. Den eigenen Leistungszenit auszuloten und ihn im besten Fall Stück für Stück verschieben. Rivalitäten schüchtern sie nicht ein, sondern spornen sie zu Höchstleistungen an. Sie schenken den Hindernissen auf ihrem Weg ein Lächeln, statt an ihnen zu verzweifeln. „Ich liebe den Wettkampf. Er ist die Essenz dessen, was ich bin", sagte Woods einmal, der selbst in seinen erfolgreichsten Jahren nie aufhörte, an sich und seinem Spiel zu feilen. „Ich weiß nicht, ob du jemals aufhören kannst, dich zu verbessern. Sobald du glaubst, dass du perfekt bist, hast du schon verloren, weil du deinen Fähigkeiten und Entwicklungsmöglichkeiten ein Limit setzt. Und das ist nicht richtig.“ Seinen Erfolg, das gab er auch einmal zu Protokoll, habe er zu seinen besten Zeiten nicht an seinen Siegen gemessen, sondern daran, ob er jedes Jahr besser wurde. Es ist ihm lange Zeit gelungen... 

 

6) Umgang mit Druck und Nervosität

Woods erzählt im Video, er werde manchmal gefragt, ob ihm das Gefühl von Nervosität bekannt sei. „Machst du Witze?!“, frage er dann. „Ich bin jedes Mal aufgeregt. Aber entscheidend ist, wie ich damit umgehe und wie ich diese Energie in eine tiefere Fokussierung verwandele“, so der Amerikaner. Klar ist: Nervosität führt nicht nur zu negativem Druck und blockierender Anspannung im Körper, sondern sie kann im richtigen Maße auch motivierend sein. Woods vor einigen Jahren: „Wenn man nicht nervös ist, bedeutet das, dass einem das Ergebnis egal ist. Ich habe immer gesagt, dass der Tag, an dem ich beim Spielen nicht nervös bin, der Tag ist, an dem ich aufhöre.“ Noch scheint er also die gesunde Nervosität zu spüren... 

 

7) Aus Erfahrungen lernen

Der vielleicht wichtigste Aspekt zum Schluss: Champions, in welcher Branche auch immer sie zur Elite gehören, scheinen oft mehr aus ihren Erfahrungen zu lernen als andere. Sie analysieren genauer und ehrlicher. Ist ein Sportler offen für die Botschaft einer Niederlage, bekommen selbst die schmerzlichsten Pleiten einen Sinn. Das Leben als Chance zum Lernen zu betrachten und gleichzeitig den Sport als Brücke zum restlichen Leben, kann Perspektiven verändern. „Golf ist ein Mikrokosmos des Lebens. Es gibt immer wieder Aufs und Abs“, sagt Woods im Video unten. „Wir bestimmen unser eigenes Schicksal. Auch wenn das manchmal schwierig zu akzeptieren ist.“ 

 

Tiger Woods über seine mentale Stärke