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Der Old Course – Aus dem Tal der Sünde zum Friedhof!


1. Juli 2022 , Detlef Hennies


Kein Platz hat eine so lange und besondere Geschichte wie der Old Course von St. Andrews.
Kein Platz hat eine so lange und besondere Geschichte wie der Old Course von St. Andrews. | © Getty Images/Richard Heathcote/R&A

Mitte Juli 2022 steigt in St. Andrews die 150. Open Championship. Kein anderer Platz auf dieser Erde zerrt so an den Nerven oder hat eine so bewegte und bewegende Geschichte wie der Old Course. Um ihr zu folgen, reichen tiefschürfende Blicke auf die Bahnen 1 und 18.

Im Moment ist es vor allem eins auf dem Old Course: laut, weil noch an den riesigen Tribünen gehämmert wird, die überall auf dem Platz verteilt sind. In Vorbereitung auf die 150. Open Championship ist der Old Course deshalb gesperrt… zumindest zum Golfen. Falls Sie aber Ihren Hund ausführen oder aus der Stadt zum Strand gehen möchten, können Sie selbstverständlich den Weg nutzen, der auf halber Höhe die sich entgegenlaufenden Bahnen 1 und 8 kreuzt. Der Grund und Boden gehört hier nicht dem scheinbar allmächtigen Royal & Ancient Golf Club of St. Andrews (R&A), sondern der Stadt. Und die hat sich schon vor fast fünf Jahrhunderten dazu verpflichtet, ihren Bürgern den Zugang zu diesem bezaubernden Küstenstrich zu garantieren. So jedenfalls stand es 1552 in der entsprechenden Lizenz: Es ist erlaubt, „in den Dünen Hasen aufzuziehen, Golf und Fußball zu spielen sowie zu schießen und anderen Arten der Freizeitbeschäftigung nachzugehen.“

Eisenhower verkniff sich die erste Bahn  

Wie, andere Arten der Freizeitbeschäftigung? Hier wird Golf gespielt, sonst nichts. Hier haben alle Größen ihrer Zeit ihre Runden gedreht: Jack Nicklaus, Ben Hogan, Old Tom Morris, Bobby Jones, Tiger Woods, Bernhard Langer. Hier hat Ex-Nationalspieler Michael Ballack 2015 mit Pro Florian Fritsch die Teamwertung der Dunhill Links Championship gewonnen… und hier war General Eisenhower 1946 ob des großen Publikums vor dem Clubhaus so nervös, dass er das erste Tee mit einem schelmischen Lächeln ausließ und erst an der zweiten Bahn einstieg, die für Zuschauer gesperrt war.

Der berühmteste Platz der Welt beginnt mit einem der breitesten Spielfelder der Welt. Rechts stehen schon die Tribünen für die 150. Open Championship.
Der berühmteste Platz der Welt beginnt mit einem der breitesten Spielfelder der Welt. Rechts stehen schon die Tribünen für die 150. Open Championship. | © Detlef Hennies


Zu breit zum Verfehlen. Eigentlich…  

Obwohl das Filetstück des Old Courses direkt vor dem R&A-Clubhaus mehr als 100 Meter breit ist, weil hier die Bahnen 1 und 18 gegeneinander laufen, fangen hier auch die nervenstärksten Amateure an zu schlottern. Roger McStravick beschreibt dieses immer wiederkehrende Schauspiel in seinem Buch „St Andrews – A Comfort Blanket for the Hapless Golfer“ („St Andrews – Ein Trostpflaster für den unglückseligen Golfer“) so: „Dann setzen Sie erstmals einen Fuß auf das geweihte Gras des ersten Abschlags, und Ihr Blick wandert über das an sich extrem breite Spielfeld. Urplötzlich aber schrumpft dieses Fairway so brutal in sich zusammen, wie die Zahl der Zuschauer in die Höhe geschossen ist.

Wo kommen die denn jetzt alle her?
Die verschwinden hoffentlich gleich wieder?
Ich hoffe, das ist ihr Bus, der da steht.
Er ist es nicht… er ist es nie!

Der Bus ist eine Fata Morgana von der Art, die einem eine Oase vorgaukelt, während man in der Wüste verloren herumirrt und vor dem Verdursten ist. Es ist diese besondere Form mentaler Panik, auf die Sie sich einstellen sollten.

Der Starter bewegt die Lippen, aber Sie hören ihn nicht  

Der Starter wird natürlich versuchen, Sie zu beruhigen. Das aber bringt nichts, wenn Sie ihm oder ihr über die Schulter blicken und den alten Shop von Tom Morris sehen.

Hier ist der Platz, an dem all die Golfhistorie zusammenkommt.

Sie blicken nach links auf das 18. Grün, auf dem Severiano Ballesteros im Jahr 1984 einen legendär langen Putt zu seinem zweiten Open-Sieg versenkt hat. Sie werden sehen, wie sich die Lippen des Starters bewegen, aber Sie werden ihn kaum verstehen. Er spricht wohl davon, den Tag zu genießen, an dem Flight vor Ihnen dranzubleiben und dass jetzt der richtige Moment für ein Erinnerungsfoto sei. Der Starter, nennen wir ihn Bob, wird sich die Kamera von einem aus Ihrer Gruppe geben lassen. Und schon finden Sie sich an der typischen Stelle für diese Fotos wieder, mit dem eindrucksvollen Clubhaus des Royal and Ancient Golf Clubs in Ihrem Rücken. Jetzt verrate ich Ihnen, was Sie tun sollten.

Auch das ist St. Andrews: öffentliches Parken mit erhöhter Beulengefahr direkt neben der 18. Bahn.
Auch das ist St. Andrews: öffentliches Parken mit erhöhter Beulengefahr direkt neben der 18. Bahn. | © Detlef Hennies


Was Golfer und Mönche verbindet

Das Wichtigste: atmen! Spüren Sie die Luft in Ihren Lungen und atmen Sie ein paar Mal tief ein und aus. Es wird ein paar Anläufe brauchen, aber irgendwann wird der holpernd-dröhnende Herzschlag aufhören, in Ihren Ohren zu pochen. Zweitens: Wie wollen Sie sich ausrichten, worauf sollen Sie zielen? Glücklicherweise gibt es nur eine Antwort auf diese Frage: Es ist der kleine Busch gleich rechts von dem, was die Leute die Swilcan Bridge nennen. Wenn Sie Ihren Abschlag pullen, also nach links verziehen, ist alles in Ordnung. Wenn Sie ihn richtig slicen, macht er auch nichts kaputt. Jetzt, da Sie wissen, worauf Sie zielen müssen und dass es fast unmöglich ist, sich beim ersten Schlag Probleme einzuhandeln, sollten sich der Nebel und die Dämmerung in Ihrem Golferhirn ein wenig legen. Mehr noch: Durch den Sauerstoff, den Sie in Ihre Lungen gesaugt haben, sollten Sie einigermaßen entspannt sein und die Kontrolle über Körper und Geist wiedererlangt haben. Hoffentlich haben Sie diese Zeilen jetzt beruhigt, in einem Moment, in dem Sie über dem Ball stehen und sich eine unwirkliche Stille ausbreitet, die nur Golfer einzuordnen wissen. Und Mönche!“

Dabei hat es hier sogar Weltklasse-Profis erwischt: Colin Montgomerie und Ian Baker-Finch verzogen ihre Drives so weit nach links, dass sie auf der Straße landeten, die passenderweise The Links heißt. Bei Ian Baker-Finch geschah das 1995; vier Jahre vorher hatte der Australier die Open in Royal Birkdale noch als Überraschungssieger beendet.

Mit dem richtigen Tempo durch das „Tal der Sünde“  

So dramatisch der Beginn, so einzigartig endet die Runde auch auf dem Old Course. Folgen wir noch einmal Roger McStravick, dem irischen Erfolgsautor mit Wohnsitz St. Andrews:

„Das Anspiel des 18. Grüns hat seine Tücken. Es sieht flach und eben aus. Ist es aber nicht.Das Grün ist auf der rechten Seite erhöht, was man aber nur erkennen kann, wenn man an den Stufen neben dem Clubhaus des R&A steht. Ihr Schlag muss auf der rechten Seite des Grüns landen. Wenn Sie es mit einem Pitch&Run versuchen, besteht die Gefahr, dass der Ball nicht genügend Tempo hat und im „Valley of Sin“, dem „Tal der Sünde“, verendet. Das sind die atemberaubenden Buckel und Senken vor dem Grün, die Sie zum letzten Mal daran erinnern, dass Sie hier auf dem berühmtesten Links-Kurs der Welt spielen.

An dem Ort, an dem heute das 18. Grün liegt, wurden früher Opfer der Cholera-Epidemie bestattet. Im Hintergrund erkennt man das Clubhaus des R&A sowie den ersten Abschlag.
An dem Ort, an dem heute das 18. Grün liegt, wurden früher Opfer der Cholera-Epidemie bestattet. Im Hintergrund erkennt man das Clubhaus des R&A sowie den ersten Abschlag. | © Detlef Hennies


Unter dem 18. Grün lagen Opfer der Cholera-Epidemie

Besonders erwähnenswert ist der erhöhte hintere rechte Teil des Grüns. Dort liegen nämlich die Leichen. Und das ist ernst gemeint. Diese Ecke diente während einer Cholera-Epidemie als Friedhof, zumal dieser Bereich damals als „außerhalb der Stadt“ galt. Wenn Sie also das Grün betreten, machen Sie es am besten leichtfüßig, um der Gefahr zu begegnen, jemanden zu wecken. Als Old Tom Morris gegen 1866 das neue Grün anlegte, nahm er das bestehende, das in einer natürlichen Mulde lag, hob es an und nivellierte die gesamte Fläche zu dem großen Plateau-Grün, das wir heute kennen.

Als die Arbeiter bei den Bauarbeiten die Überreste der Cholera-Opfer entdeckten, waren sie nicht gerade erfreut. Wenn man bedenkt, dass die abergläubischen Einwohner von St. Andrews nur 120 Jahre zuvor vermeintliche Hexen von den Klippen warfen, kann man sich vorstellen, dass der Anblick der Knochenberge sie erschreckt haben muss. Die Arbeiter legten sofort ihre Werkzeuge nieder. Old Tom drohte damit, den Lohn einzubehalten, wenn sie nicht weitermachen würden. Die Arbeiter verdrängten ihre Ängste und beendeten die Arbeiten. Das Ergebnis ist ein wunderschönes, komplexes Grün, das Old Tom als sein Meisterstück bezeichnete.“

Gute Chancen in der Startzeiten-Lotterie  

Wir werden bei der 150. Open Championship sehen, wie die besten Spieler der Welt mit dem Meisterstück umgehen. Danach wird der Old Course wieder öffentlich, und wer Glück in der Startzeiten-Lotterie (die Erfolgsquote ist durchaus brauchbar) oder den richtigen Reiseveranstalter hat, kann sich auf eine einzigartige Runde freuen. Und am besten schon mal mit der mentalen Vorbereitung beginnen! Also: atmen Sie!

Weitere Infos unter www.standrews.com und www.finegolfbooks.com    

 

Roger McStravick führt durch die wechselvolle Geschichte von St. Andrews und auf alle Plätze im „Home of Golf“
Roger McStravick führt durch die wechselvolle Geschichte von St. Andrews und auf alle Plätze im „Home of Golf“ | © Detlef Hennies