Natur

Old Course: Einzigartigkeit hat seine Konsequenzen


25. September 2024 , Petra Himmel


Old Course von St. Andrews
Old Course von St. Andrews | © Canva/Gof Sustainable

Es gibt nur ein Tadj Mahal. Es gibt nur einen Old Course. Was sie beide eint, ist ihre Einmaligkeit.

Wenn sich Historie mit architektonischer Exzellenz vereint und Mythos dazukommt, kann man sich der Faszination schwer entziehen. Zirka 4,8 Millionen Menschen besuchten 2023 das Tadj Mahal. 50.000 Runden Golf wurden auf dem Old Course gespielt, 233.000 auf den fünf anderen Plätzen des Links Trus von St. Andrews. Und das, obwohl Schottland nicht wirklich eine Destination für Wintergolfer ist, wie wir alle wissen.

Szene 1: St. Andrews, Bibis Kaffee, August 2024, ein Dienstag

Es ist 9.30 Uhr und der Laden brummt. Acht Männer aus Washington an Tisch eins, zwei weitere Vierer-Tische besetzt mit anderen männlichen Golfer-Gruppen aus den USA. Sie alle sind Airbnb-Nutzer und sind zum Frühstück gekommen. 318 Unterkünfte weist Airbnb an diesem Tag für St. Andrews aus – ein Städtchen mit normalerweise rund 18.000 Einwohnern, dessen Fläche zwischen zwei und drei Quadratkilometern liegt. Wer die South Street herunter spaziert, passiert Eingangstüren, an denen manchmal bis zu fünf Türschlösser für Mieter hängen und das mulmige Gefühl taucht auf, dass man hier in der historischen Innenstadt ein ähnliches Problem mit der Vermietung von Wohnräumen an Touristen hat, wie in Barcelona oder anderen Städten, die von Overtourismus geplagt werden.

Golftourismus spielt in Schottland eine wesentliche Rolle. Sein wirtschaftlicher Wert wurde von Visit Scotland mit 286 Millionen Pfund beziffert. Ein Golftourist gibt demnach pro Nacht durchschnittlich 338 Pfund aus. Nordamerikaner, die inzwischen etwa 30 Prozent aller Übernachtungsgäste ausmachen, während Europäer nur 14 Prozent beitragen, sind besonders gerne gesehene Gäste, weil sie im Schitt 10,21 Nächte bleiben. Ein Großteil von ihnen kommt dann eben auch in St. Andrews vorbei.

Den Old Course wollen sie trotz eines Greenfees von 295 Pfund in der Hochsaison alle spielen, und so reihen sich die ersten Viererflights morgens bei Sonnenaufgang vor dem ersten Tee auf. Der typische US-Flight, so die gängige einheimischer Golfer, sei leicht zu erkennen: Vier Spieler, vier Caddies, manchmal noch die Ehefrauen als Begleitung dabei. Eine Großgruppe also, die bei jedem verzogenen Ball während der Runde so laut „Fore“ brüllt, dass es über das halbe Golf-Gelände zu hören ist. Später am Nachmittag wird man einige der Amerikaner auf der Terrasse des neu gestalteten Rusacks Hotels treffen, das ebenso wie das Old Course Hotel längst zu einem Hotspot für Amerikaner geworden ist. Die Menüpreise haben sich dort und in manch anderem Restaurant in der Innenstadt längst amerikanischem Niveau angeglichen. Man kann also nach ein paar Tagen vor Ort durchaus auf die Idee kommen, dass St. Andrews ein Problem mit Overtourism hat.

Zum Strand von East Sands verirrten sich kaum Golfer

Zum Strand von East Sands verirrten sich kaum Golfer

Szene 2: East Sands, am Wochenende

Das liegt auch daran, dass die Stadt im Sommer generell ein beliebter Anziehungspunkt ist. Da sind der mächtige, breite Strand von West Sands und der deutlich kleinere von East Sands. An diesem Tag genießen nicht nur reichlich Familien einen sonnigen Sommertag, sondern auch mehrere Gruppen von Kanuten tragen hier ein überregionales Rennen. Später am Abend werden die Golfer zum Teil auf die Kanuten treffen, weil sie den jährliche Lammas-Market besuchen. In der Market und der Church Street kreischen die Kinder und flanieren Einwohner und Touristen. Die Historie der Kirmes reicht zurück bis ins Mittelalter. Irgendwie ist in St. Andrews eben fast alles historisch und entwickelt enorme Anziehungskraft.

Schließlich ist da auch noch die University of St. Andrews, an der im vergangenen Jahr rund 10.000 Studenten eingeschrieben waren. Gemeinsam mit den Airbnb-Vermietern und den Einheimischen stehen sie alle im Wettbewerb um Wohnraum. Längst gilt St. Andrews bei den Immobilienpreisen als teuerste Stadt Schottlands. Die Anzahl der Verkaufsschilder vor zahlreichen Häusern zeigt, dass so mancher Einheimische die Chance offenbar nutzen will, mit der eigenen Immobilie im Verkauf einen lohnenden Preis zu erzielen, um dann andernorts billiger zu wohnen.

„Für jüngere Leute wie mich ist es eigentlich unmöglich, sich hier irgendwann Eigentum zu leisten“, erzählt die junge Friseuse im Laden gegenüber von Bibis Kaffee während des Haarschnitts. „Aber es ist trotzdem toll hier zu sein, weil es so international ist, hier kommt die ganze Welt vorbei.“ Studenten und Wissenschaftler von der Universität, Sommertouristen oder eben Golfer. Dass der Verkehr in der winzigen Innenstadt im Hochsommer chaotisch abläuft, ist ein typischer Nebeneffekt.

Szene 3: Das Eden Clubhouse

Am ersten Tee des Eden Course hinter der Golf-Akademie steht ein Starter und liest die Turnierteilnehmer ab. Knapp zweihundert werden es an diesem Tag sein und weitere zweihundert bei seinem Kollegen am New Course rechterhand. 390 Teilnehmer haben sich zum alljährlichen Eden und Strathyrum Turnier gemeldet, ganze Familien sind angereist. „Wir kommen immer alle, jedes Jahr“, erzählt Emily aus Houghton-Le Spring. Bei 150 Pfund Startgebühr und garantiert mindestens vier Runden Golf pro Person plus Barbecue und Startgeschenk sind die zwei Turniere ein jährlicher Renner. „Good value for money“ nennt der Brite so etwas dann. Schließlich sind nur die wenigsten von ihnen bereit, 295 Pfund Greenfee für eine Runde Golf auf dem Old Course auszugeben. Lucy, die neben Emily am ersten Tee steht, arbeitet im benachbarten Dunbarnie als Full-time Caddie. 299 Pfund Greenfee, voll gebucht von internationalen Golfern, ebenso wie Kingsbarns für 418 Pfund die Runde in der Hochsaison.

Der Links Trust aber, der sechs Golfplätze mit dem Old Course als Zentrum, sowie drei Clubhäuser und das Golf Practice Center betreibt, ist anders als Dunbarnie oder Kingsbarns kein kommerzielles Golfunternehmen, sondern eine gemeinnützige Stifung, die durch den St. Andrews Links Confirmation Act 1974 vom britischen Parlament damit beauftragt wurde, die Golfplätze zu betreiben. Der wirtschaftliche Gewinn dient dabei nur einem Ziel: „Die Förderung der öffentlichen Teilhabe an Sport.“

Golf für alle – ein echtes Knobelspiel

Die eigentliche Kunst besteht also darin, dieses Tadj Mahal des Golfsports für Briten zugänglich und damit auch erschwinglich zu machen, während gleichzeitig die ganze Golfwelt nach einer Startzeit auf dem Old Course giert.

Das Kunststück aber gelingt, glaubt man den Zahlen des Jahresberichts 2023: 151.822 der insgesamt 283.082 Golfrunden 2023 wurden nämlich von Besitzern eines sogenannten Links Trust Tickets gespielt, das für Anwohner für St. Andrews schon ab 371 Pfund pro Jahr zu haben ist. Feste Startzeitenblöcke sind den Besitzern sicher, selbst die Chance auf Old Course Startzeiten ist über das Ballot-System da. Im „Home of Golf“ ist Golf zum Teil eben durchaus auch erschwinglich und für alle Teile der Bevölkerung inklusive.

Wer einen Nachmittag im Golf Practice Center verbringt, das 2023 immerhin 1,3 Millionen Pfund Umsatz gemacht hat, erkennt, welch‘ unterschiedliche Zielgruppen dieser Sport ansprechen kann. Hier trainiert ein englisches Auswahlteam mit Spitzen-Jugendlichen, während ein Bus mit einer Kaffefahrt für Seniorinnen anhält. Ein Stündchen lang versuchen die betagten Damen ihr Glück mit dem kleinen weißen Ball. Die Trainingsboxen sind voll besetzt, ein paar Minuten Anstehen vor den Boxen ist an der Tagesordnung. Im Moment analysiert der Links Trust gerade einen möglichen Neubau des Gebäudes.

Nachhaltiges Golf für die Zukunft schaffen

Was an Einkünften generiert wird, immerhin 24,4 Millionen Pfund im Jahr 2023 nur aus dem Bereich Golf und 11,5 Millionen Pfund Reingewinn, muss auch wieder investiert werden. Das ist Teil der Stiftungsstatuten. Längst hat das Thema Nachhaltigkeit dabei die Arbeitsprozesse und das Management des Links Trust erfasst. Von der eigenen Kompostherstellung, über eine über 90prozentige Kreislaufwirtschaft beim Thema Abfall und weitreichende Aktivitäten beim Thema Biodiversität und Küstenschutz bis zur Organisation eines Bussystems, das die Golfer von Platz zu Platz befördert, reichen die Projekte. 2024 wurde man dafür mit dem Scottish Golf Tourism Sustainability Award ausgezeichnet.

Das Greenkeeping Team steht dabei vor der Herkules-Aufgabe einen Platz wie den Old Course, den der eine oder andere Superintendent dieser Tage bereits als „überspielt“ bezeichnet, mit einem Minium an Düngereinsatz in einen möglichst guten Zustand zu versetzen. Das Ganze in einem Klima, das man gemeinhin als rau bezeichnet. Nachhaltige Pflege aber ist ein Credo, das hier die tägliche Arbeit begleitet.

Der Fluch der Flüge

Nach einem CO2-Reporting des Links Trust sucht man allerdings trotzdem vergeblich. Das Net-Zero-Ziel kann das Management trotz all‘ der Bemühungen beim Müll, der Umstellung auf elektrische Greenkeeping-Maschinen und anderer Projekte nicht anvisieren. Es würde nie erfüllt. Der Besucherandrang macht dieses Ziel zur Fata Morgana. Für die acht Amerikaner aus Washington wirft die CO2-Bilanz des Rechners Atmosfair 40.164 kg CO2 für den Hin- und Rückflug aus. Pro Flug und Person sind es immerhin noch 5.200 kg, mehr als das dreifache an CO2-Budget, das jedem Menschen laut IPCC-Budget pro Jahr eigentlich zusteht. Rein klimatechnisch betrachtet ist die Anziehungskraft des Old Course also eher ein Fluch denn ein Segen.

Szene 4: Die Dünen am West Sands

Zwischen Old Course und dem Meer liegen die Dünen, die Jahr um Jahr das Ziel heftiger Stürme sind, die durch den Klimawandel stärker werden. Sturm Babet hat den Dünensaum im Winter 2023/2024 um 35 Zentimeter gekürzt. Dabei arbeiten die Greenkeeper des Links Trust aber vor allem auch unzählige Freiwillige durch die Pflanzung von Dünengras und andere Stabilisierungsmaßnahmen seit Jahren an dem Schutz der Dünen. Ranald Strachan ist für das Thema Dünenschutz beim Links Trust zuständig. Man könnte auch sagen, er ist das Bollwerk, das zwischen dem Goldesel Old Course und der Natur steht. „2.800 Leute waren bis dato in den Küstenschutz involviert, der hier als Projekt der ganzen Bevölkerung gesehen wird“, erklärt er. „Sie alle verstehen, dass wir diese Dünen schützen müssen.“

Ob auch jene Golftouristen das tun, die gerade am ersten Abschlag abschlagen? Wohl kaum. Aber wer wollte, es ihnen verdenken. Wer nach St. Andrews fährt, macht sich in der Regel keine Gedanken über die Auswirkungen des Klimawandels. Mit dem ikonischen Clubhaus des R&A im Rücken und dem Swilcan Burn vor dem ersten Grün im Blick, wächst die Nervosität des Golfers und das Gefühl, etwas Einmaliges zu erleben, sorgt für Euphorie. Hier spielt der Old Course seine Magie voll aus. Die Komplexität des kompletten Systems Golf in St. Andrews dagegen liegt im Verborgenen.